Cuxland Bauernproteste

LsV-Vorsitzender Dirk Koslowski will keine Eskalation der Bauernproteste

Was muss passieren, damit die Bauernproteste aufhören? Warum protestieren die Bauern überhaupt? Warum haben sie teils Konflikte mit Medien? Dazu nimmt Dirk Koslowski, Vorsitzender von „Land schafft Verbindung“ Niedersachsen-Bremen (LsV), im Interview mit Nordsee-Zeitung.de Stellung.

Protest

Wohin entwickelt sich der Bauernprotest? Nordsee-Zeitung.de sprach darüber mit Dirk Koslowski, Vorsitzender der Landwirte-Organisation "Land schafft Verbindung" Niedersachsen-Bremen. Unser Foto entstand bei der Blockade des Gewerbegebietes Carl-Schurz in Bremerhaven. Foto: Scheschonka

Wie geht es mit den Bauernprotesten weiter?
Das hängt davon ab, wann uns die entsprechenden Stellen zuhören. Wir sind seit 2019 auf der Straße und außer Gesprächsrunden ist nichts dabei herumgekommen. Dass wir ernsthaft angehört werden, ist nicht zu erkennen.

Könnten die Proteste ähnlich radikal werden wie in Frankreich?
Ich möchte es nicht. Ich kann nicht ausschließen, dass mal einer eine Fuhre Mist auf der Straße auskippt. Doch Blockaden, mit brennenden Reifen und so weiter, das wünsche ich mir nicht. Wir haben in Deutschland aber auch ein anderes Demonstrationsrecht als die Franzosen, die sind schließlich die Erfinder der Revolution.

Die Hafenblockaden haben Spediteure, die eigentlich hinter den Landwirten stehen, verärgert. Wäre es nicht cleverer, mit deren Lobbyisten gemeinsam aufzutreten und zu verhandeln? Oder besteht die Gefahr, dass die Bauern in den Hintergrund rücken?
Wir versuchen, den Schulterschluss mit dem Mittelstand zu organisieren und das gelingt uns auch in Teilen. Denn wir haben gemeinsam, dass uns die Verbotspolitik stört und auch von steigenden Energiekosten sind alle betroffen.

Dann aber fängt es an auszufasern, und dann besteht natürlich die Gefahr, dass unsere Themen hinten herunterfallen. Das schließt aber weitere gemeinsame Aktionen nicht aus.

Natürlich treffen unsere Aktionen auch mal jemanden, der wie die Spediteure nicht der Adressat ist. Wenn die Lokführer streiken, trifft es auch die Fahrgäste, obwohl der Konzern verantwortlich ist. Dass wir alle Abgeordneten im Bundestag einsperren, bis sie sich mit uns befassen, funktioniert ja leider nicht.

Auch die NORDSEE-ZEITUNG hat die Proteste in vielen Facetten über Wochen ausführlich begleitet. Trotzdem will manchmal vor Ort keiner mit uns reden oder eine missverstandene Überschrift im Nachgang zur Veranstaltung in Wanhöden löst einen Shitstorm aus. Was ist aus Ihrer Sicht das Problem mit den Landwirten und den Medien?
Zunächst möchte ich mich für den Shitstorm entschuldigen. Was Sie sich anhören mussten, tut mir aufrichtig leid. Denn Sie berichten seriös und ausgewogen, doch das läuft leider nicht immer so. Wir haben auch schlechte Erfahrungen mit Filmteams gemacht, die Aussagen falsch zusammengeschnitten haben. Deshalb filmen wir mittlerweile solche Interviews selbst parallel mit.

Aber viele Landwirte sind auch sehr dünnhäutig geworden, weil ihnen sehr viel ablehnende Haltung und sogar Abneigung entgegenschlägt.

Ich nenne mal Beispiele: Wenn Ihre Kinder dreimal pro Woche heulend nach Hause kommen, weil sie in der Schule hören: „Dein Vater ist ein Tierquäler“, dann ist das hochemotional.

Oder, wenn Sie einen blauen Traktor fahren, weil das die Markenfarbe des Herstellers ist und es heißt, er sei extra in AfD-Farben lackiert.

Hinzu kommt, dass die Landwirte sich häufig von den Medien gar nicht oder nur sehr unterrepräsentiert wahrgenommen fühlen. Da ist also sehr viel Konfliktpotenzial in der breiten Masse unterwegs. Und dann brennen da auch mal Sicherungen durch.

Mobbing bei Landwirte-Kindern, das haben wir auch mal zum Thema gemacht. Aber ich gebe Ihnen recht, das ist sicher nicht im Fokus. Vermutlich sprechen die Landwirte öffentlich wenig darüber?
Das ist richtig, es machen viele mit sich selbst aus. Da kommt vieles zusammen. Die Auflagen der Politik, Existenzsorgen und dann noch das Emotionale, nicht ohne Grund ist die Selbstmordrate unter Landwirten gestiegen. Sie ahnen nicht, wie oft mir Ehefrauen ihr Herz ausgeschüttet haben, weil sie nicht wissen, was sie mit ihrem Mann machen soll, der nicht mehr weiterweiß.

Noch mal zur Politik: Wie groß ist die Gefahr, dass die Proteste von Menschen unterwandert werden, denen es um etwas anders als die Bauern-Themen geht? Wie versuchen Sie das zu verhindern?
Landwirte sind aus der Mitte der Gesellschaft und für Links- oder Rechtsextreme ist da kein Platz. Aber ich kenne Landwirte, die AfD wählen und Landwirte, die die Linken wählen und solche, die alles dazwischen wählen. Ich mache es mittlerweile so, dass ich bei unbekannten Interviewpartnern erst recherchiere, wer da mit mir sprechen will, weil ich nicht von der Reichsbürgerszene oder Corona-Leugnern benutzt werden möchte. Ich lehne auch Einladungen allein zu einer Partei ab. Denn wenn ich zu einer gehe, muss ich zu allen anderen auch und dann sitze ich irgendwann bei der AfD auf dem Podium und weiß, was die Presse daraus macht. Deshalb versuchen wir Podiumsdiskussionen zu organisieren, bei der alle Parteien zusammenkommen. Bei Demos bitten wir die Polizei, alle Symbole entfernen zu lassen, die nicht zu uns passen. Die Versuche, die Proteste zu missbrauchen, waren zu Beginn aber stärker als jetzt.

Haben Sie das Gefühl, dass die Stimmung kippt? Was wollen die Landwirte dagegen tun?
Ich habe nicht das Gefühl, dass die Zustimmung insgesamt zurückgeht. Doch wer von Blockaden betroffen ist, ist zunehmend genervt. Deshalb versuchen wir, davon Abstand zu nehmen und alternative Akzente zu setzen. Wir wollen die nicht-landwirtschaftliche Bevölkerung nicht verärgern, aber so viel Druck erzeugen, dass man uns zuhört.

Was muss denn am Verhandlungstisch passieren, damit die Proteste ad acta gelegt werden?

Wir fordern Gespräche ein, die bisher nur langsam anlaufen und Ernsthaftigkeit vermissen lassen. Es ist schwer, etwas Konkretes zu nennen, denn eines der Probleme unseres Protestes ist, dass die vielfältigen Unterthemen so komplex sind, dass man dann aufhört, uns zuzuhören.

Ich will es mal so formulieren: Wir wünschen uns die Einsicht, dass wenn man Beschlüsse fasst, man auch mit Vernunft die Folgen abschätzen muss. Und in einer sachlichen Debatte muss man auch Meinungen anhören, die von der eigenen abweichen. Ich habe auch nicht immer recht, aber ich höre mir andere Meinungen an.

Sie haben recht – man muss schon tief in den Themen sein. Ohne Beispiel ist das jetzt schwer nachzuvollziehen.

Nimmt man in Deutschland einen Hektar Fläche aus der Produktion, um die Biodiversität zu stärken, dann hat das Folgen auf dem Weltmarkt. Denn die Nahrung muss dann woanders produziert werden und dann werden vielleicht in Brasilien 2,5 Hektar Regenwald geopfert.

Oder: Ich verzichte gern auf bestimmte Pflanzenschutzmittel, die im Verdacht stehen, Gesundheit und Natur zu schaden. Dann will ich aber auch, dass entsprechend behandelte Produkte nicht aus dem Ausland in den deutschen Markt kommen können.

Oder unsere Kritik am Herkunftsnachweis. Wir Landwirte sind auch Verbraucher. Um eine DE-Kennzeichnung zu bekommen, kann man Rahm aus Osteuropa kaufen und hier zu Butter verarbeiten. Wenn man dann noch ein deutsches Labor hat, wird sogar „deutsche Markenbutter“ daraus. Ebenso kann chinesisches Schweinefleisch mit einer deutschen Briefkastenfirma unter „Herkunft Deutschland“ in den Markt gebracht werden. Alles legitim, aber es wäre schön, wenn es transparent gemacht wird. Ein Bremerhavener Tiefkühlhersteller macht es ja vor, wie klare Kennzeichnung funktionieren kann.

Porträt

Dirk Koslowski, Landwirt in Wohnste bei Sittensen. Foto: Kratzmann

Maike Wessolowski

Reporterin

Maike Wessolowski wurde in Remscheid geboren. Die ausgebildete Reiseverkehrskauffrau und Reporterin lebte und arbeitete in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Niedersachsen, bis sie 2018 in Bremerhaven festmachte. An der Region schätzt sie: Menschen, Maritimes, Möglichkeiten.

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