Krieg in der Ukraine, Corona und andere Krisen. Das geht nicht spurlos am katholischen Militärpfarramt in der Kaserne Seedorf vorbei. Pastoralreferent Thomas Nuxoll hat ein Ohr für die Sorgen der Soldaten und Zivilangestellten, berät und begleitet sie bei Bedarf.
Und der ist gewachsen, zumal das benachbarte evangelische Militärpfarramt in der Kaserne seit Herbst komplett vakant ist. Das wirkt sich aus: „Es schlägt jetzt alles bei uns auf“, sagt Thomas Nuxoll. Zwar gibt es eine Vertretungsregelung mit einem Kollegen aus Osterholz-Scharmbeck, aber die gilt eher für den Fall, „dass die Hütte brennt“.
Konfession spielt keine Rolle für Militärpfarrer und Soldaten
„Die Konfession spielt überhaupt keine Rolle“, unterstreicht der Militärseelsorger. Auch nicht für die Soldaten. Der 55-Jährige versteht sich als Ansprechpartner für alle Rat- und Hilfesuchenden. Mit Kriegsbeginn in der Ukraine gab es anfangs intensiveren Gesprächsbedarf von Soldaten, erinnert er. „Bei Soldatinnen und Soldaten herrschte viel Unsicherheit“, so sein Eindruck. „Was passiert jetzt? Müssen wir bald in den Krieg ziehen? Das waren Fragen, die sich der eine oder andere stellte.“
Inzwischen hat sich das beruhigt. „Aber es hat sich natürlich vieles verändert, was in Zukunft auf sie zukommt“, sagt Thomas Nuxoll. „Wenn plötzlich in Ansprachen von Kriegstauglichkeit und Siegfähigkeit gesprochen wird, ist das etwas anderes.“ Das Thema Landes- und Bündnisverteidigung werde „die Truppe deutlich in der Breite fordern“, nimmt der Seelsorger an. „Da machen sich die einen oder anderen Gedanken, die plötzlich merken, was sie mal versprochen haben.“ Das alles gelte weniger für Seedorf, weil hier immer schon auf hohem Alarmierungslevel gearbeitet werde. Aber für andere Standorte sei das ein Quantensprung.
Probleme für Soldaten mit doppelter Staatsürgerschaft
Nach dem 24. Februar, dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, gab es Überraschungen für einzelne Bundeswehr-Soldaten mit russischen oder ukrainischen Wurzeln. Manche haben die doppelte Staatsbürgerschaft und somit auch einen russischen oder ukrainischen Pass. „Die haben einen Einberufungsbefehl bekommen. Dann kommt man natürlich in Loyalitätsprobleme“, weiß Thomas Nuxoll von Betroffenen, die das Gespräch mit dem Militärpfarrer suchten.
Das ging bis hin zu der Frage: Was passiert eigentlich, wenn sie eines Tages ihre alte Heimat besuchen? Werden sie dann als Fahnenflüchtige angesehen? „Das muss man mit den Soldaten besprechen, was das im schlimmsten Fall bedeuten könnte.“ Der Seelsorger gibt zu, über eine solch verzwickte Situation vorher nie nachgedacht zu haben.
Er weiß von Einzelfällen, wo etwa die Freundin eines Bundeswehr-Soldaten in Odessa lebt und der Partner sich Sorgen macht, wie man sie dort jetzt heraus bekommt. „Hinfahren ist die schlechteste aller Lösungen, weil du Soldat bist“, verdeutlicht der Seelsorger. „Wenn du als solcher erkennbar über die Grenze gehst, haben wir den Bündnisfall. Das geht nicht“, erklärt er etwas überspitzt.
Mit überraschenden Themen konfrontiert
Ein anderer Fall: „Wir hatten einen Kameraden, der russischer Herkunft ist und der Frau und Kind in Moskau wohnen hat.“ Weil der Zahlungsverkehr mit Russland eingestellt worden ist, habe er kein Geld mehr an die Familie schicken können. Thomas Nuxoll: „Ich hätte im Leben nicht damit gerechnet, dass man mit so etwas befasst wird.“
Das geht bis hin zu einem Bundeswehr-Soldaten mit russischen Wurzeln, der den Dienst in Seedorf quittiert hat, weil er sich nicht vorstellen kann, gegen russische Landsleute eingesetzt zu werden. „Ich bin überzeugter Bundesbürger, bin hier groß geworden und überzeugter Soldat“, habe der Betroffene gesagt. Zugleich aber für sich die Konsequenz gezogen.
Wenn der Militärseelsorger mit solchen und anderen Themen konfrontiert wird, versucht er zu unterstützen: „Mein Hauptanliegen ist es, mit den Leuten zusammen die Optionen zu sortieren. Ich versuche in längeren Gesprächen ein klares Lagebild herzustellen.“ Das bedeutet: Alle Informationen gehören auf den Tisch. Danach verweist er gegebenenfalls auf andere Institutionen wie den Sozialdienst, auf Vorgesetzte oder versucht, im Rahmen des psychosozialen Netzwerkes Lösungen zu finden.
Soldaten haben teilweise belastende Einsätze zu verkraften
Das jedoch ist derzeit gebeutelt, weil das evangelische Militärpfarramt vakant ist und seit eineinhalb Jahren kein Truppenpsychologe mehr in Seedorf vor Ort ist. Immerhin: Ein Nachfolger kommt zum 1. Februar, sagt Thomas Nuxoll. „Darüber bin ich sehr froh.“ Er nimmt wahr, dass auch Soldaten mit „psychologischen Problemen im weitesten Sinne“ bei ihm Hilfe suchen. Aber er sei nun mal kein Psychologe oder Therapeut.
Nuxoll ist überzeugt: „Wir brauchen den Truppenpsychologen nach wie vor, weil die Soldaten teilweise sehr belastende Einsätze zu verkraften haben.“ Wie 2021 bei der Evakuierungsoperation am Kabuler Flughafen. „Das wird uns sicherlich noch viele Jahre beschäftigen“, sagt der 55-Jährige, ohne dabei näher ins Details zu gehen.

Soldaten können sich mit dienstlichen und privaten Anliegen vertrauensvoll an den Seedorfer Militärpfarrer wenden. Das gilt auch für zivile Angestellte und Familienangehörige der Betroffenen. Foto: Hilken
Mit welchen Sorgen Soldaten in diesen Zeiten ansonsten auf ihn zukommen? „Eigentlich mit denselben wie immer. Es sind oft Beziehungsgeschichten, was für Soldaten immer schwierig ist.“ Viele führen Fernbeziehungen. Ein Dauerbrenner sei mangelhafte Kommunikation mit Zuhause. „Es tappen mehr oder weniger alle in dieselbe Falle. Sie versuchen, die kostbare Zeit mit der Familie möglichst stressfrei zu verbringen.“ Konflikt-Themen blieben außen vor. Das funktioniere aber nur begrenzt: „Irgendwann ist die Festplatte voll und es platzt aus einem heraus.“
Thomas Nuxoll betont daher: „Wir sind für jeden Menschen ansprechbar, der hier durch die Tür kommt und ein Anliegen hat.“ Über seine Zeit als Militärpfarrer sagt er: „Es war nicht einen Tag langweilig.“ Und er habe nicht einen Tag bereut. „Nicht einmal die schlimmen Tage, die wir in Seedorf hatten“, etwa nach dem Karfreitagsgefecht in Afghanistan 2010. „Ich möchte sie nicht wiederhaben, sie aber auch nicht missen.“
Zur Person
Pastoralreferent Thomas Nuxoll stammt aus Osnabrück, ist verheiratet und hat zwei Söhne, lebt in Rotenburg. Zuständig ist der katholische Militärpfarrer für die Standorte Seedorf, Rotenburg und Hesedorf. Mit Pfarrhelferin Barbara Rinas unterstützt er Soldaten und zivile Kollegen mit ihren Familienangehörigen in allen Lebenslagen, bietet Seelsorge und Begleitung in dienstlichen und privaten Angelegenheiten an und sichert Verschwiegenheit zu.Die Arbeit im Militärpfarramt bereite ihm mehr Freude als die zivile Kirche. Gerade die katholische Kirche habe sich nicht mit Ruhm bekleckert, findet er. „Das macht mir mehr als Sorge.“Aber was die zivile Kirche umtreibt, treibe die Soldaten überhaupt nicht um: „Wir haben keine Kirchenaustrittswellen bei Soldaten in der Militärseelsorge, wie das die zivile Kirche erlebt. Selbst wenn, würden wir es nicht merken, weil wir uns für alle zur Verfügung stellen. In diesem Punkt sind wir längst über das konfessionelle Denken hinaus, weshalb ich auch gerne in der Militärseelsorge bin.“
Sein Wunsch für 2023? „Dass ich alle meine Soldaten immer wohlbehalten zurückbekomme. Ich weiß, dass das ein frommer Wunsch ist, weil es immer wieder Soldaten gibt, die eben nicht unbeschadet wiederkommen.“ Aber: „Sie sind mir ans Herz gewachsen.“