Reicht’s noch für den Porsche, oder müssen Ärzte fürchten, pleite in Rente zu gehen? Die Bremerhavener Ärztin Dr. Birgit Lorenz begründet die Schließung ihrer Praxis einige Jahre vor dem Ruhestand mit fehlender Wertschätzung durch die Politik und mit der Sorge vor wirtschaftlichen Blessuren. Damit dürfte sie kein Einzelfall bleiben. „Wir haben viele Hinweise von Praxisinhabern, die sich mit dem Gedanken tragen, früher als geplant aufzuhören“, sagt der Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung im Land Bremen (KV), Christoph Fox. Das liege auch am ständigen Honorarstreit mit den Kassen.
Wie viel verdienen Ärzte wirklich? „Der Netto-Stundensatz von niedergelassenen Ärzten lag 2020 bei 41 Euro“, sagt Fox und beruft sich dabei auf Daten des Zentralinstituts der kassenärztlichen Versorgung in Deutschland. „Das monatlich verfügbare Einkommen betrug 7.130 Euro.“
Die Beispielrechnung des Instituts verdeutlicht, wie hoch das Nettoeinkommen eines Praxisinhabers ausfällt, der mit 172.903 Euro den durchschnittlichen Jahresüberschuss erzielt: „Werden vom Jahresüberschuss die Beiträge zur ärztlichen Altersvorsorge, zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie die Einkommenssteuer abgezogen, verbleibt ein Nettoeinkommen in Höhe von 85.555 Euro“, sagt Fox. „Dies entspricht einem monatlich verfügbaren Einkommen in Höhe von rund 7.130 Euro. Unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Arbeitszeiten der niedergelassenen Ärzte im Jahr 2020 ergibt sich daraus ein Nettostundensatz von 41 Euro.“
Bremerhavener Arzt: Der Porsche ist meist weit weg
Der Bremerhavener Hautarzt Dr. Volker Meyer betont, dass das ein Durchschnittswert ist: „Der Verdienst hängt vom einzelnen Arzt ab, dem Fachgebiet, der Region und der Anzahl der Privatpatienten. Es gibt vielleicht wenige sehr gut organisierte und strukturierte Großpraxen, die deutlich mehr verdienen, relativ viele, die so ungefähr an den Durchschnitt dran kommen und dann doch einige, die deutlich darunter liegen und die schon lange nicht mehr an ,luxuriöse‘ Neuanschaffungen denken können.“ Umgekehrt gebe es Kollegen, die deutlich mehr Einkommen haben. „Dazu gehören in der Regel Radiologen, Nephrologen und Laborärzte“, sagt Meyer.
Zu bedenken sei, dass von dem monatlichen Nettodurchschnittverdienst in Höhe von 7.130 Euro noch zusätzliche Versicherungsbeiträge, zum Beispiel für den Rechtsschutz, den Ärzte brauchen, abgezogen werden müssen. „Außerdem müssen alle Investitionen in die Praxis davon bezahlt werden, man geht komplett ins Risiko“, sagt Meyer. Ein neues Ultraschallgerät oder ein OP-Tisch kosten beispielsweise um die 20.000 Euro.
„Wir müssen alle sicher nicht verhungern, aber eine wertschätzende Vergütung ist nicht mehr gegeben“, sagt Meyer. „Insofern ist die Befürchtung von Frau Dr. Lorenz vor Altersarmut vielleicht ein bisschen überspitzt, aber nicht völlig abwegig. Denn während die Krankenhausärzte 8,8 Prozent mehr Lohn bekommen, liegt der Honoraranstieg für die niedergelassenen Ärzte seit 15 Jahren unter der Inflation. Im Moment haben wir alle den Eindruck, dass es der Berliner Politik ganz lieb ist, wenn die Ärzteschaft zukünftig im Golf statt im Audi vorfährt. Der Porsche ist meist weit weg. Ich fahre zum Beispiel einen VW EOS Baujahr 2009. Das ist ein schönes Auto.“
Ärzte sind frustriert von Bürokratie und Fachkräftemangel
Auch Dr. Birgit Lorenz betont, dass der Verdienst von sehr vielen Faktoren abhängt - wie zum Beispiel der Lage der Praxis, dem Mietspiegel, der Spezialisierung innerhalb des Fachgebietes und damit der Praxisausstattung, Mitarbeiterkosten, dem Klientel der Praxis (Patienten mit Kassen, die Hausarztverträge anbieten, Privatpatienten, Patienten, die IGEL-Leistungen nachfragen).
Die Honorardebatte nervt mittlerweile viele Ärzte. Sie argumentieren damit, dass die Ausbildung lang war, 15 Jahre bis zum Facharzt. Sie tragen eine hohe Verantwortung für die Patienten. „Viele sind wegen der Umstände gefrustet: Bürokratie, Fachkräftemangel, Digitalisierung“, sagt Fox. Personal- und Energiekosten sind gestiegen. Die schlechten Rahmenbedingungen in der ambulanten Medizin führen nach Angaben der KV Bremen zu einer Abwanderung von Medizinischen Fachangestellten (MFA). Das belegt eine Umfrage der KV anlässlich der Aktion Praxen-Kollaps. Demnach sind in annähernd jeder zweiten Praxis in Bremen und Bremerhaven MFA von anderen Einrichtungen abgeworben worden.
Empfindlich reagieren viele Ärzte daher, wenn zur auch unter Medizinern umstrittenen Forderung von Kassenärzte-Chef Andreas Gassen nach einer Ausfallgebühr für nicht wahrgenommene Termine ein Sprecher des GKV-Spitzenverbands sagt: „Ein immer tieferer Griff in die Taschen der Beitragszahlenden löst keine Probleme. Stattdessen wäre es nur ein weiterer Zusatzverdienst für eine Berufsgruppe, die schon jetzt zu den Spitzenverdienern gehört.“