Bremerhaven

Schlimme Kriegsbilder: Drei junge Ukrainerinnen berichten

Mit 20 sollte einem die Welt offen stehen. Doch Nina Horodylova kauerte sich im Auto zusammen. Die Flüchtlingskolonne war unter Beschuss geraten. Sie konnte dem Krieg entkommen. Mit zwei anderen Ukrainerinnen erzählt sie von einem zerrissenen Leben.

Nina Horodylova, Olga Derevianko und Anja Tolpekina (von links) sind vor den Bomben geflüchtet.

Nina Horodylova, Olga Derevianko und Anja Tolpekina (von links) sind vor den Bomben geflüchtet. Foto: Lothar Scheschonka

Das Handy ist stets dabei. Die Frauen versuchen, wenigstens einmal am Tag Menschen in ihrer Heimat zu erreichen. Doch nach Cherson, von wo in den letzten Tagen erbitterte Kämpfe gemeldet wurden, waren am Wochenende jegliche Verbindungen abgerissen.

Hoffen auf eine Nachricht von einem verletzten Soldaten

Nina Horodylova (20) hat in der Gegend im Süden der Ukraine mit ihrer Familie gelebt, arbeitete an der Seite eines Akrobaten. „Ich würde so gerne wissen, wie es einem Freund geht, ein Soldat, der verletzt im Krankenhaus liegt“, erzählt die junge Frau und schaut schweigend ins Nirgendwo. Gemeinsam mit Anja Tolpekina und Olga Derevianko steht sie in der „Alten Bürger“ 218, umringt von Kriegsfotos aus ihrer Heimat. Die Erinnerung darf nicht zu tief gehen, und eine der Frauen muss sich während des Gesprächs wegdrehen, weil ihr die Tränen kommen.

Ein Fest für die Menschen in ihrer Heimat

Dennoch haben die drei jungen Frauen ein Mut-Fest zugunsten der Ukraine mit auf die Beine gestellt. Mit den Bildern oben im dritten Stock wollen sie einen Eindruck von der Zerstörung und dem Schmerz der Menschen mitgeben. Ein paar Zimmer weiter stehen Besucher staunend vor Monitoren und sehen Videos von den Schönheiten dieses Landes. Was davon wird am Ende alles zerstört sein?

In Sicherheit leben: Das hat eine ganz neue Bedeutung bekommen

Anja Tolpekina (24) und Olga Derevianko (20) stammen beide aus Kiew und haben den Raketenbeschuss ihrer Stadt erlebt. Mit dem 24. Februar und dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine hat sich auch ihr Leben radikal verändert. Seit ein paar Monaten sind sie in Deutschland. Dafür seien sie unendlich dankbar, betonen die Flüchtlinge. Sie könnten durchatmen und etwas zur Ruhe kommen. Doch ein plötzliches Klirren und Scheppern oder eine Tür, die ins Schloss knallt, lasse sie nach wie vor zusammenzucken, sagen sie. In Sicherheit leben, hat eine ganz andere Wertigkeit bekommen. Ein Plausch mit Freunden bei einer Tasse Tee: Was früher normal war, ist für sie heute ein Geschenk. Sie brauchen solche kleinen, friedlichen Momente.

Kriegsfotos aus der Ukraine gehen unter die Haut

Anja Tolpekina, in ihrer Heimat in der Veranstaltungsbranche tätig, hat Kostya und Vlada Liberovy angeschrieben, Fotografen aus Odessa, um sie um ihre Kriegsfotos zu bitten. Die Auswahl für die Ausstellung mussten die Frauen hin und wieder unterbrechen, zu nahe gingen den Flüchtlingen die Bilder.

Tanzperformance

Nina Horodylova hat den Tanz mit einer jungen Ukrainerin einstudiert. Im Hintergrund läuft ein Video zum Krieg in ihrem Heimatland. Ab November möchte Nina Horodylova ein Tanzangebot anbieten. Foto: Lothar Scheschonka

Doch das Mut-Fest gibt ihnen trotz allem Kraft. Sie können etwas tun für ihre Landsleute, und sei es, weil sie Spenden sammeln und kleine, selbst gefertigte Produkte für die Spendenkasse verkaufen. Der Stolz auf die Ukraine ist überall zu spüren. Die Nationalfarben Blau und Gelb zieren sogar die Fingernägel von Anja Tolpekina. Zahlreiche Flüchtlinge kommen nachmittags und fallen sich in die Arme, weil sie aus derselben Stadt stammen. Bereits der erste Abend mit einem Rave zur elektronischen Musik war gut besucht.

Nina Horodylova muss schmunzeln über das, was jemand an eine Wand geschrieben hat: „Ich habe keine Angst, den Besatzern ins Gesicht zu spucken.“ Sie wurde wochenlang von ihrer Familie vor den russischen Soldaten versteckt aus Angst vor Gewalt und Vergewaltigung. Wie ihre Zukunft aussehen wird? Die 20-Jährige weiß es noch nicht; eigentlich möchte sie zurück. Bei Olga Derevianko zeichnet sich etwas ab. Sie arbeitete in der Ukraine als Erzieherin, lernt wie die anderen fleißig Deutsch und hat sich hier beworben.

Ursel Kikker

Reporterin

Ursel Kikker kommt aus der Wesermarsch, liebt das Meer und berichtet gerne darüber, wenn die Wissenschaft für frischen Wind an der Küste sorgt. Sie hat bei der NORDSEE-ZEITUNG volontiert und ist nach dem Studium dorthin zurückgekehrt.

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