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Vom Entenschnabel ins All: Countdown für deutschen Weltraumhafen in der Nordsee

Schon im April 2024 soll die erste Rakete vom Weltraumhafen in der Nordsee ins All geschossen werden. Mit einem Spezialschiff soll sie zum Entenschnabel transportiert und dann gestartet werden. Auch Bremerhaven spielt dabei eine Rolle.

 Eine Rakete steht auf einer Plattform der German Offshore Spaceport Alliance (GOSA) (undatierte Computergrafik).

Von einer mobilen Startrampe sollen bald mit kleinen Trägerraketen kleine Satelliten ins All transportiert werden. In der deutschen Nordsee ist für April 2024 der erste Start einer Rakete geplant. Foto: Harren&Partner Group/dpa

Ab ins All vom deutschen Weltraumhafen: Im nächsten April soll zum ersten Mal eine kleine Trägerrakete von einem Schiff in der Nordsee aus abheben. Geplant ist zunächst eine Testphase.

Wie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) am Mittwoch zu einem Weltraumkongress in Berlin mitteilte, sollen künftig europäische Microlauncher - das sind Mini-Raketen - von der schwimmenden Plattform aus starten und Satelliten in den Weltraum transportieren.

Der Startpunkt soll im sogenannten Entenschnabel sein, dem entlegensten Winkel der Ausschließlichen Deutschen Wirtschaftszone, etwa 350 Kilometer vor der Küste. Hinter den Plänen steht ein Milliardenmarkt.

Die Mission

Die Initiative für das Vorhaben startete der BDI bei seinem ersten Weltraumkongress vor vier Jahren. In einer Erklärung damals hieß es, die zunehmende Kommerzialisierung der Raumfahrt, New Space genannt, sei eine große Chance auch für das Industrieland Deutschland. Der BDI schlug vor, dass künftig von Deutschland aus Kleinsatelliten starten sollen, von einem privaten Space-Port aus - es entstand der Begriff eines deutschen Weltraumbahnhofs. Konkret soll es nun aber einen Weltraumhafen geben.

„In immer mehr Branchen gilt: Wer im All nicht vorne mit dabei ist, wird auf der Erde kein Technologieführer sein“, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm. In einer am Mittwoch vorgelegten Studie der Strategieberatung Roland Berger und des BDI heißt es, Deutschland sei in einer „gefährlichen Abhängigkeit“ bei der Weltrauminfrastruktur und dem Zugang zum Weltraum - daher soll nun ein eigener Space-Port kommen. Der Bund will Entwicklung und Bau der Infrastruktur bis 2025 mit zwei Millionen Euro fördern, wie der FDP-Haushaltspolitiker Frank Schäffler Ende September mitgeteilt hatte.

Der Weltraumhafen

Deutschland bekommt keinen Weltraumbahnhof wie Cape Canaveral in den USA oder Baikonur in Kasachstan. Geplant ist eine schwimmende Startplattform in der Nordsee, ein Spezialschiff mit Startrampe.

Im April 2024 solle im Rahmen einer Demo-Mission erstmals eine Rakete der niederländischen Firma T-Minus von der mobilen Startplattform der German-Offshore Spaceport Alliance in der Nordsee abheben, sagte Russwurm. Diese Allianz (GOSA) ist ein privates Konsortium, zu dem etwa das Bremer Raumfahrtunternehmen OHB gehört.

Heimathafen des Schiffs soll nach BDI-Angaben Bremerhaven sein. Der Startpunkt für die Rakete befinde sich im sogenannten Entenschnabel der Ausschließlichen Deutschen Wirtschaftszone, in der Deutschland noch bestimmte Hoheitsrechte hat.

Die Allianz GOSA nannte die geplante erste Demo-Mission den nächsten entscheidenden Schritt hin zur Umsetzung eines deutschen Weltraumhafens in der Nordsee. Es sollten zunächst mit suborbitalen Raketenstarts praktische technische Erfahrungen und Know-how gesammelt werden, so Sabine von der Recke, Mitglied der Geschäftsführung. Suborbital bedeutet, dass die Erdumlaufbahn nicht erreicht wird.

„Diese Erfahrungswerte werden uns dabei helfen, in Zukunft auch komplexere orbitale Starts umzusetzen.“ Die Demo-Mission solle etwa zwei Wochen laufen. In dieser Zeit sei der Start von bis zu vier Raketen mit einer maximalen Länge von sieben Metern und einer Flughöhe von bis zu 50 Kilometern geplant.

Raketenstarts in der Nordsee

Karte: Mapcreator.io | OSM.org

Künftig sollten von der schwimmenden, mobilen Plattform in der Nordsee Trägerraketen mit Nutzlasten von bis zu einer Tonne in erdnahe Orbits gebracht werden. Mit der Plattform solle dem steigenden Bedarf auf dem Markt kommerzieller Klein-Satelliten begegnet werden. „In diesem Jahrzehnt werden viermal mehr Satelliten gestartet als im vorherigen. Dies führt zu Engpässen bei den landbasierten Space-Ports.“ Deshalb sei der Betrieb einer weiteren europäischen Startinfrastruktur so entscheidend. Jeder Start solle von einem Kontrollschiff und einem neuen multifunktionalem Mission Control Center in Bremen aus begleitet werden.

Die Erwartungen

Satellitendaten werden immer wichtiger. Nach der neuen Studie wächst der Markt für weltraumgestützte Anwendungen bis 2040 jährlich um 7,4 Prozent auf 1,25 Billion Euro. Die Daten würden für zahlreiche Wirtschaftsbereiche unerlässlich sein, zum Beispiel für autonomes Fahren oder für die Digitalisierung industrieller Produktionen. Weltraumanwendungen ermöglichten zum Beispiel präzisere Daten und Analysen, welche die Effizienz in Produktion und Logistik steigerten.

Russwurm sprach von einer „Riesen-Chance“. Deutschland brauche einen souveränen Zugang ins Weltall - auch als Beitrag zur Verteidigungsfähigkeit. Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt nannte in einem Video-Grußwort Raumfahrt eine zentrale Zukunftstechnologie. Mit New Space könnten die hohen Kosten von Trägerraketen gesenkt werden.

Russwurm forderte von der Bundesregierung aber zugleich größere Ambitionen. Diese hatte vor kurzem eine neue Raumfahrtstrategie vorgelegt, die aber in der Branche auf Kritik stieß. Der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie monierte, das nationale Raumfahrtbudget solle gekürzt werden. Russwurm sagte, der Abstand zu den USA oder China drohe immer größer zu werden. Anna Christmann, Koordinatorin der Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt, sagte, dafür seien mehr Mittel für die Europäische Weltraumorganisation Esa geplant.

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