Gemeinsam mit dem niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz hat das Umweltministerium Ministerium die Rote Liste Brutvögel vorgelegt. Demnach stehen 43 Prozent aller 212 Brutvogelarten auf der Gefährdungsliste, weitere 14 Prozent auf der Vorwarnliste. Damit können in Niedersachsen und Bremen nur noch 43 Prozent der Brutvögel als ungefährdet gelten. „Entwicklungen wie die Industrialisierung im Bereich der Landwirtschaft haben bereits seit langem erhebliche Auswirkungen auf die Lebensräume von Offenland-Arten“, sagt Lotta Cordes, Sprecherin des niedersächsischen Umweltministeriums.
Offenland-Arten, das sind Vögel wie Kiebitz und Uferschnepfe, Feldlerche und Rebhuhn, Braunkehlchen und Wiesenpieper. Vogelarten, die auf Wiesen und Brachflächen leben und brüten. Werden die Wiesen bereits im April das erste Mal gemäht und insgesamt fünfmal im Jahr geschnitten, kommt dort keine Wiesenvogelbrut durch. Die Verarmung der Pflanzenvielfalt im Offenland und damit der Rückgang der Insektenvielfalt und Insektenzahl sind weitere Minuspunkte für die ökologische Qualität und damit auch für die Wiesenvögel.
Das ist auch in der Wesermarsch ein großes Thema. Aus weiten Bereichen sind die Wiesenvögel verschwunden. Doch es gibt Ausnahmen, wie die Wiesenvogelschutzgebiete Stollhammer Wisch und Moorhauser Polder. Und vor allem die Strohauser Plate, eines der Gebiete mit den, bezogen auf die Größe, höchsten Beständen an brütenden Wiesenvögeln in ganz Niedersachsen.
Naturschützer sehen in dem Artenrückgang nicht nur ein Problem für die Natur, sondern auch für den Menschen. „Artenreiche, intakte Landschaften haben einen besonders hohen Erholungswert und sind wichtig für die physische wie psychische Gesundheit von Menschen“, sagt Jakob Grabow-Klucken vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) in Niedersachsen. Eine angepasste Strategie zur Erhaltung der Artenvielfalt werde auch „unsere Lebensqualität erhöhen und uns vor noch höheren Folgekosten durch degradierte Böden, Klimawandel und Erkrankungen schützen“.
Lotta Cordes vom Umweltministerium in Hannover betont, dass die Landesregierung bereits zahlreiche Maßnahmen gegen das Vogelsterben ergriffen habe, wie beispielsweise das Ausweisen von Vogelschutzgebieten oder die Wiedervernässung und Offenhaltung geeigneter Habitate. Zudem gebe es Bewirtschaftungsauflagen und Maßnahmen zum Kükenschutz etwa vor Prädatoren, also Raubtieren. Die niedersächsische Landesvorsitzende des BUND, Susanne Gerstner, sieht einen ersten Schritt getan. „Allerdings sind die Verbesserungen bislang noch kaum in der Fläche angekommen - hier besteht dringender Handlungsbedarf“, betont sie. Von der kommenden Landesregierung erwartet der BUND daher „wirksame Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt“. Dazu sollte ihrer Meinung nach der Vogelschutz langfristig finanziert, ein Biotopverbund umgesetzt und Pflanzenschutzmittel reduziert werden.
Erfolgreich sind Maßnahmen zum Wiesenvogelschutz dort, wo sie konsequent angewandt werden wie auf der Strohauser Plate. Die Plate gehört dem Land Niedersachsen. Sie bildet mit den Strohauser Vordeichländereien ein mehr als 1000 Hektar großes Naturschutzgebiet. Der Landkreis als Naturschutzbehörde, Platenpächter Jörg Fasting, die Domänenverwaltung und Berufsjäger Jens Kleinekuhle ziehen an einem Strang. Landwirtschaft ist auf der Plate auf den Naturschutz ausgerichtet. Das ist eine Besonderheit. Das Ergebnis sind beeindruckende Brutzahlen. So haben im zurückliegenden Frühjahr auf der Plate 125 Paare des Kiebitzes, 75 Paare der Uferschnepfe, 40 Rotschenkelpaare und 25 Paare der Feldlerche gebrütet. Das sind für die Plate, auch im Vergleich mit den vergangenen Jahrzehnten, Spitzenwerte. Dabei haben die meisten Wiesenvögel ihre Jungen auch großbekommen. Dafür sorgt der Berufsjäger mit einer konsequenten Bejagung von Prädatoren. Schon ein Fuchspaar könnte die Gelege aller Wiesenvögel auf der Weserinsel zerstören.
Auf dem Deichvorland des Festlandes haben immerhin noch 16 Kiebitzpaare gebrütet sowie ein Paar Uferschnepfe und Rotschenkel. Doch das sind deutlich weniger als auf der Plate. Einer der Gründe dafür sind häufiger gewordene Hochwasser im Frühjahr und Frühsommer, die die Gelege wegspülen. Eine Folge des Klimawandels.

125 Kiebitzpaare haben in der zurückliegenden Saison auf der Strohauser Plate gebrütet, so viel wie nirgendwo sonst in der Wesermarsch. Foto: pr