Butjadingen

Sorge vor „schleichendem Chemieunfall“ im Jadebusen

Nach dem NABU schlägt auch die Deutsche Umwelthilfe Alarm wegen des im Bau befindlichen LNG-Terminals in Wilhelmshaven. Das Spezialschiff, das dort eingesetzt werden soll, sei andernorts durch die Umweltprüfung gerasselt.

Dieses Schiff, die „Höegh Esperanza“, soll dazu beitragen, dass Deutschland von russischem Gas unabhängig wird. Doch es gibt Kritik an dem schwimmenden Flüssiggasterminal.

Dieses Schiff, die „Höegh Esperanza“, soll dazu beitragen, dass Deutschland von russischem Gas unabhängig wird. Doch es gibt Kritik an dem schwimmenden Flüssiggasterminal. Foto: HöeghHintergrund

Möglichst schnell soll Deutschland unabhängig werden von russischem Gas. Deshalb forciert die Bundesregierung den Bau von LNG-Terminals, an denen verflüssigtes Gas mit Tankschiffen angeliefert und dann an Bord von sogenannten Floating Storage and Regasification Units (FSRU) zur weiteren Verwertung in einen gasförmigen Zustand zurückversetzt wird. Ein solches Terminal entsteht zurzeit auch an der Küste von Wilhelmshaven - und damit genau gegenüber von Butjadingen. Ende des Jahres soll der Betrieb beginnen.

Die Gemeinde Butjadingen befürchtet, dass beim Bau des Terminals zusätzlicher Schlick anfällt, der den Fedderwarder Priel und die Zufahrt zum Fedderwardersieler Hafen verstopft - ein Problem, dass auch schon ohne LNG-Terminal existenzbedrohend für den Kutterhafen ist.

Natur- und Umweltschutzverbände machen sich andere Sorgen. Sie fürchten, dass die sensible Ökologie des Wattenmeers Schaden durch den Terminal-Betrieb nimmt. Konkreten Anlass dazu gibt die geplante Einleitung von mit Chlor belastetem Seewasser, das beim Betrieb eines FSRU anfällt. In der vergangenen Woche hatte die Bezirksgruppe Oldenburger Land des Naturschutzbundes (NABU) dieses Vorhaben in einer ausführlichen Stellungnahme bereits scharf kritisiert.

Einen anderen Aspekt in diesem Zusammenhang greift nun die Deutsche Umwelthilfe (DUH) mit Sitzen unter anderem in Berlin und Hannover auf. Sie wirft die Frage auf, ob Deutschland sich ein Schiff „von der Resterampe“ für den Einsatz am Terminal in Wilhelmshaven gechartert habe, wie es in einer Pressemitteilung heißt. Der Hintergrund: Die „Höegh Esperanza“ habe eigentlich bei einem LNG-Projekt in Australien eingesetzt werden sollen. Die australischen Behörden hätten aber die Betriebserlaubnis verweigert, so die Umwelthilfe - das Terminalschiff sei durch die Umwelt-Zulassung gerasselt.

Umwelthilfe: Deutschland bald hinter internationalen Standards

„Die Bundesregierung droht hinter internationale Umweltstandards zurückzufallen“, sagt Constantin Zerger, der bei der Umwelthilfe den Bereich Energie und Klimaschutz verantwortet. „In Wilhelmshaven und an den übrigen LNG-Standorten droht ein schleichender Chemieunfall“, ergänzt DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner.

Flüssiggas wird mit einer Temperatur von minus 162 Grad angeliefert. Um es wieder in einen gasförmigen Zustand zu bringen, muss es erwärmt werden. Dafür wird Meerwasser genutzt. Damit die Rohrsysteme nicht durch Muscheln, Seepocken und andere Meeresorganismen verstopft werden, wird Chlor als Biozid eingesetzt; der Begriff Biozid setzt sich zusammen aus dem altgriechischen Wort für „Leben“ und dem lateinischen Wort für „töten“. Am Ende des Prozesses wird das Wasser zurück ins Meer abgelassen. Es weist dann immer noch Restmengen des eingesetzten Chlors auf.

Frist für Einwendungen läuft jetzt aus

Das jüngst verstaatliche Gasunternehmen Uniper, das den FSRU in Wilhelmshaven betreiben wird, hat die Einleitung von jährlich bis zu 178 Millionen Kubikmetern mit Biozid behandelten Seewassers beantragt - das entspricht der Füllmenge von rund 890 Millionen Badewannen. Aktuell laufen das emissionsschutzrechtliche sowie das wasserrechtliche Genehmigungsverfahren. Für Letzteres läuft an diesem Mittwoch die Einspruchsfrist für Privatpersonen ab. Bürger können Einwendungen per Mail an die Adresse GB6-OL-Poststelle@nlwkn.niedersachsen.de senden.

Die „Höegh Esperanza“ wird Wasser mit einem Chlorgehalt von 0,2 Milligramm pro Liter zurück ins Meer leiten. Das summiert sich pro Einsatztag auf 106 Kilogramm Chlor, die vor Wilhelmshaven ins Meer gelangen. Bei dem geplanten Einsatz in Australien standen 0,1 Milligramm pro Liter in Rede, die Hälfte also. Und schon das sei den dortigen Behörden viel zu viel gewesen, heißt es von der Umwelthilfe.

Laut Trinkwasserverordnung liegt der Grenzwert für Leitungswasser bei 0,3 Milligramm Chlor pro Liter. Sind die 0,2 Milligramm, die von der „Höegh Esperanza“ in den Jadebusen eingeleitet werden sollen, demnach nicht völlig harmlos? Nein, sagt Imke Zwoch, Vorsitzende des Kreisverbands Wilhelmshaven des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND). Denn im Meer geht es um Lebewesen, die viel kleiner als Menschen sind - und für die demnach auch viel geringere Mengen Chlor gefährlich oder gar tödlich sind.

Spezialschiff kostet 200.000 Euro Miete - pro Tag

Zudem, so kritisiert Imke Zwoch, entspreche der Einsatz von Chlor beim Antifouling heute nicht mehr dem Stand der Technik. In anderen Kühl- oder Wärmetauschersystemen seien längst mechanische Verfahren etabliert. Sie funktionierten mittels kleiner Kautschukbälle, die durch die Rohre geleitet werden, wie eine Bürste die Innenwände säubern und am Ende des Systems aufgefangen und dann über einen längeren Zeitraum immer wiederverwendet werden können. Auf der „Höegh Esperanza“ wird es anders laufen.

Die Bundesregierung muss für das Schiff nach Brancheninformationen 200.000 Euro Miete am Tag zahlen. „Und dafür kann man nicht verlangen, dass zum Schutz der Meeresumwelt wenigstens die bestmögliche Technik eingesetzt wird?“, fragt Imke Zwoch. „Wie viel ist uns das Weltnaturerbe vor unserer Haustür wert?“

BUND fordert Messsonden für fortlaufende Prüfung Überprüfung

Noch ein Punkt stößt dem BUND sauer auf: Laut Imke Zwoch verfügt die „Höegh Esperanza“ über elf Auslässe, aus denen das mit Chlor versetzte Wasser zurück ins Meer gelangt. Es sollen aber an nur sieben Auslässen Proben zur Überwachung der Biozidkonzentration genommen werden - von Hand und zunächst zwar täglich, später aber lediglich noch stichprobenartig und ein Mal im Monat. Der BUND fordert, dass stattdessen an jedem der Auslässe digitale Messsonden nachgerüstet werden, die fortlaufend Daten über den Chlorgehalt liefern.

Das LNG-Terminal liegt zwar nicht direkt im Weltnaturerbe und Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer, es befindet sich aber in dessen unmittelbarer Nähe. Die Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven beschäftigt sich nach Auskunft von Dr. Gregor Scheiffarth zurzeit intensiv mit dem Thema. Der Wattökologe und seine Kollegen gehen vor allem der Frage nach, zu welchen Verdünnungseffekten es nach dem Einleiten des chlorhaltigen Wassers im Jadebusen kommt und wie viel Chlor tatsächlich im Nationalpark ankommt - und damit auch an der Butjadinger Küste.

Nationalparkverwaltung gibt Stellungnahme ab

Ein abschließendes Ergebnis gibt es noch nicht. Liegt es vor, wird es in eine Stellungnahme einfließen. Die Nationalparkverwaltung zählt zu den sogenannten Trägern öffentlicher Belange, für die längere Fristen bestehen als für Privatpersonen. Für die Stellungnahme ist noch bis um 28. Oktober Zeit.

Die Gemeinde Butjadingen wird keine Stellungnahme abgeben. Sie ist laut Bürgermeister Axel Linneweber aber froh, dass andere das tun. Jede Verschlechterung der Situation im und am Wattenmeer sei auch eine Verschlechterung für die Tourismusgemeinde Butjadingen, sagt er.

Am Voslapper Groden in Wilhelmshafen entsteht der LNG-Umschlagplatz, an dem auch die Höegh festmachen wird.

Am Voslapper Groden in Wilhelmshafen entsteht der LNG-Umschlagplatz, an dem auch die Höegh festmachen wird. Foto: Luftfoto Scheer

Schwimmendes Flüssiggasterminal

Die „Höegh Esperanza“ ist ein schwimmendes Flüssiggasterminal (Floating Storage and Regasification Unit, FSRU). Sie soll ab Ende dieses Jahres in Wilhelmshaven eingesetzt werden und dazu beitragen, dass Deutschland unabhängig von russischem Erdgas wird.Das Spezialschiff wurde bei Hyundai Heavy Industries in Südkorea gebaut. Die Kiellegung erfolgte am 28. Dezember 2015, der Stapellauf am 17. März 2017. Die „Höegh Esperanza“ ist 290 Meter lang und 46 Meter breit. Sie hat eine Speicherkapazität von 170.000 Kubikmetern Flüssigerdgas.Eignerin des Schiffs ist die Hoegh LNG Holdings Ltd mit Sitz auf den Bermudas. Die Bundesregierung hat 2,94 Milliarden Euro für das Mieten und den Betrieb von FSRU sowie für die Infrastruktur an Land bereitgestellt. Für ein FSRU wie die „Höegh Esperanza“ ist eine Charterrate von 200.000 Euro am Tag üblich.

Detlef Glückselig

Redaktionsleiter

Er ist mit Leib und Seele Lokaljournalist. Seit 1984 berichtet er aus der Wesermarsch. Es sind die Menschen und ihre Geschichten, die ihn interessieren. Detlef Glückselig ist der Redaktionsleiter der Kreiszeitung.

0 Kommentare
Newsletter NEWSLETTER
Alle wichtigen Nachrichten und die interessantesten Ereignisse aus der Region täglich direkt in Ihr E-Mail-Postfach. Mit Empfehlung aus der Redaktion.
nach Oben