Wie bewerten Sie die aktuelle Situation des Ehrenamts auf dem Land?
Tatsächlich ist es so, dass wir sehen, dass das Ehrenamt in Teilen wegbricht. Es sind zwar nicht weniger Menschen engagiert, aber die Menschen haben weniger Zeit als früher. Die Vielfalt an Engagement nimmt aber jedes Jahr zu. Wir stellen fest, dass es schwieriger wird, die Leute für mehr als ein kurzfristiges Engagement zu binden. Die Menschen wollen weniger Bindungen eingehen. Man hört oft, dass es zu wenig Ehrenamtliche gibt und dass sich keiner mehr engagieren will, aber so ist es nicht. Durch Corona sind natürlich viele ausgestiegen. Und die kommen auch nicht zurück. Ich will nicht schwarzmalen, aber wir stehen vor schwierigen Zeiten.
Es muss Spaß machen und ich muss mich mit Menschen umgeben, die ich mag.
Jetzt haben Sie schon einige Probleme angesprochen, vor denen das Ehrenamt steht, gibt es denn Lösungsansätze, damit es wieder anders wird?
Wir müssen Strukturen schaffen, Begleitstrukturen für die Ehrenamtlichen. Da bin ich von überzeugt, dass das hilft. Entweder auf Verbands- oder Kommunalebene. Wir müssen den Menschen beratend zur Seite stehen und dürfen sie nicht alleine lassen. Wir brauchen auch im freiwilligen Sektor definitiv eine finanzielle Förderung, um die Arbeit in sämtlichen Bereichen zu ermöglichen. Denn Ehrenamt kostet Geld, nicht der Ehrenamtliche an sich, aber das Bereitstellen von Strukturen und Mitteln. Ein wertschätzender, anerkennender Umgang und das Bereitstellen von finanziellen Mitteln und Ressourcen sind, denke ich, die Lösungen.
Die Umfrage „Noch Bock auf Ehrenamt“ ist jetzt durchgeführt. Was erhoffen Sie sich davon?
Ergebnisse gibt es noch keine, die werden Ende September veröffentlicht. Wir wissen aber, dass wir mit dieser Umfrage kaum junge Leute erreicht haben. Trotzdem war die Beteiligung groß. Das ist besser gelaufen als erwartet. Ich erhoffe mir davon, dass man uns sagt, was gut läuft oder wo wir noch Luft nach oben haben, aber auch was sich die Menschen von uns und der Politik wünschen.
Es ist bekannt, dass es schwer ist, neue und vor allem junge Leute für das Ehrenamt zu begeistern. Wie könnte das Ehrenamt attraktiver gemacht werden?
Die Vereine und Organisationen müssen die jungen Leute fragen und mitnehmen. Die sind ja nicht grundsätzlich uninteressiert. Die wollen sich engagieren. Ich komme aus dem Sport. Unsere Erfahrung ist es, dass wann immer wir die jungen Leute angesprochen haben, das immer gut angekommen ist.
Also würden sie sagen, dass das Interesse der Jugendlichen da ist, es aber an der Kommunikation scheitert?
Ja, die fehlt. Und auch sie so mitzunehmen, wie sie sind. Auch, wenn sie nicht immer Zeit haben. Zum Beispiel, weil die Strukturen in den Schulen, ganz anders sind als früher. Da müssen die Vereine und Gruppen flexibel reagieren. Es gibt Ansätze in anderen Regionen, in denen bereits in der Schule über das Ehrenamt informiert wird. Und das soll auch sehr erfolgreich sein. Ich finde es unfair von der älteren Generation, zu sagen, die jungen Leute engagieren sich nicht, nur weil sie mit 18 noch keinen Vorsitz haben. Sie engagieren sich sehr wohl, nur eben anders.
Ist es denn generell so, dass junge Leute eher für einmalige Projekte zu begeistern sind?
Ja, das ist aber nicht den Jugendlichen geschuldet. Das ist ein Trend der Gesellschaft. Das sind eher die Erwachsenen, für die es aufgrund des Berufs einfacher ist, einmalige Projekte zu machen. In den Familien gehen heutzutage beide Elternteile arbeiten. Dass einer von beiden 27 Ehrenämter machen kann, das gibt es nicht mehr. Mittlerweile ist das Verhältnis von Männern und Frauen im Ehrenamt auch ausgeglichen. Es sind fast genauso viele Frauen wie Männer im Ehrenamt, das zeigt die Bundesstatistik. Und bei den Jugendlichen gibt es einfach andere Zeitfenster. Hier wird gesagt „Ihr könnt mich nur so lange einplanen, bis ich mit der Schule fertig bin.“ Danach werden die Karten neu gemischt.
Auf welche Generationen wurde beim Ehrenamt denn bisher gesetzt?
Wir haben immer gedacht, mit den Babyboomern kommen jetzt viele fitte Menschen, die Zeit und Lust haben, sich zu engagieren. Jetzt stellen wir leider fest, dass das nicht so ist. Die sind während der Pandemie in Rente gegangen und haben gemerkt: Nichts tun geht auch. Und die jetzt zu aktivieren, ist sehr schwierig. Und wenn wir das in den nächsten ein oder zwei Jahren nicht schaffen, dann haben wir ein Problem. Weil das ist die Generation, die für die jetzt 70- bis 80-Jährigen nachrücken müsste. Und wenn da keiner nachrückt, dann müssen Angebote geschlossen werden.
Also gibt es keine Alternativen, um die entstandenen Lücken zu schließen?
Ich glaube nicht, weil viele Angebote, wie die Tafel oder der Bürgerbus, nicht von Berufstätigen begleitet werden können. Da sind wir auf die Rentner und Rentnerinnen und die Pensionäre angewiesen. Und das ist eine mega Herausforderung. Wir müssen es schaffen, es dort, wo man sich engagieren kann, so attraktiv wie möglich zu machen. Damit es in erster Linie Spaß macht.

Ohne freiwillige Helfer ist das Angebot der Tafel zukünftig in Gefahr. Foto: dpa/Martin Schutt
Also würden Sie sagen, dass Ehrenamt Spaß machen sollte?
Das muss es, sonst macht man es nicht. Es muss Spaß machen und ich muss mich mit Menschen umgeben, die ich mag. Und wenn das nicht gegeben ist, dann mache ich das auch nicht. Aber wenn das gegeben ist, dann bin ich auch eher bereit, mal lästige Arbeiten zu übernehmen. Denn auch die gehören dazu.
Zum Schluss noch ein Blick in die Zukunft: Wie steht es in zehn oder zwanzig Jahren um das Ehrenamt?
In zehn Jahren werden wir deutlich weniger Vereine haben. Ich glaube, dass wir aber immer noch gut aufgestellt sein werden. Es wird, glaube ich, so sein, dass wieder mehr Leute hier wohnen und wohnen bleiben, was dann auch das Ehrenamt stärken wird. Ich glaube daran. Das Ehrenamt wird schrumpfen, aber im gesunden Rahmen. Aber damit das klappt, müssen wir Corona hinter uns lassen und die Leute wieder von ihren Sofas bekommen. Ich bin optimistisch, aber der Wandel muss angenommen werden, sowohl in den Vereinen als auch in den Kommunen. Ich würde mir wünschen, dass die Förderung des Ehrenamtes oder des freiwilligen Engagements eine Pflichtaufgabe der Kommunen wäre, damit sie es angehen müssen. Wir haben Fördertöpfe auf Landesebene, das ist gut und wichtig, aber die Ehrenamtlichen haben die Bezüge bei uns in den Dörfern.