Niedersachsen

Missbrauch verjährt? - Gericht schlägt Güterichter vor

Jens Windel verlangt in einem Zivilprozess Schmerzensgeld vom Bistum Hildesheim. Er sei als Messdiener zigfach vergewaltigt worden. Welche Chancen hat die Klage?

Von Christina Sticht, dpa
8. November 2024
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Betroffene sexueller Gewalt protestierten vor dem Gericht gegen die Haltung der Kirche.

Betroffene sexueller Gewalt protestierten vor dem Gericht gegen die Haltung der Kirche.

Foto: Christina Sticht

Der Tatort war das Pfarrhaus des Dorfes Sorsum. Jens Windel beschuldigt einen verstorbenen katholischen Pfarrer, ihn im Alter von neun bis elf Jahren immer wieder sexuell missbraucht zu haben. Die etwa 30 Übergriffe sollen sich gesteigert haben bis hin zu Vergewaltigungen, sagt der Vorsitzende Richter Jan-Michael Seidel im Landgericht Hildesheim. Der heute 50-jährige Windel klagt im Zuge der Amtshaftung gegen das Bistum Hildesheim auf mindestens 400.000 Euro Schmerzensgeld.

Der Geistliche war sein Religionslehrer in der Grundschule und habe ihn als Messdiener angeworben. Der Pfarrer war laut Windel ein Serientäter, inzwischen hätten sich 18 Betroffene gemeldet.

Anspannung ist dem Kläger anzusehen

Vor dem Prozessstart ist Windel die Anspannung anzusehen. Seine Augen sind feucht, er umklammert seinen Stuhl, ist begleitet von drei Rechtsanwälten. Schon nach rund einer Stunde ist die mündliche Verhandlung vorbei. Der Kläger Windel und das beklagte Bistum Hildesheim sollen mit Hilfe eines Güterichters des Landgerichts eine Einigung finden. 

Diesem Vorschlag der Zivilkammer stimmen sowohl Windel als auch der Rechtsanwalt und die Justiziarin des Bistums Hildesheim zu - nach Rücksprache mit dem Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer. Sollte die gütliche Einigung scheitern, werde der jetzt unterbrochene Zivilprozess fortgesetzt, sagt der Vorsitzende Richter.

Im Juni 2023 hatte das Kölner Landgericht dem Missbrauchsopfer eines Priesters 300.000 Schmerzensgeld zugesprochen. Das Urteil war die bundesweit erste Gerichtsentscheidung dieser Art. Windel klagt als erster Missbrauchsbetroffener gegen die katholische Kirche in Niedersachsen.

Bisher 50.000 Euro als freiwillige Zahlungen

Der Kläger erhielt von der katholischen Kirche in vier Schritten bislang 50.000 Euro als freiwillige Zahlung. „Die bisherigen Summen bagatellisieren mein Erlebtes“, sagt Windel der dpa. Er habe den Prozess nicht gewollt, doch eine außergerichtliche Einigung lehnte das Bistum ab, es will Rechtssicherheit.

Die Kirche beantragte die Abweisung der Klage und führte unter anderem an, dass die Taten verjährt seien. In Bezug auf die Verjährung folgt das Gericht der Argumentation der Kirche. Dies wird im Vortrag des Vorsitzenden Richters deutlich. Seidel zufolge hätte Windel nach aktueller Gesetzeslage spätestens 2015 seine Schmerzensgeld-Ansprüche gerichtlich geltend machen müssen, zwei Jahre nachdem ihm die Taten wieder bewusst geworden waren. 

Windel hatte die Übergriffe jahrzehntelang verdrängt, nach einem Unfall 2013 kamen sie als Flashbacks zurück. Der 50-Jährige leidet unter anderem unter einer posttraumatischen Belastungsstörung und Depressionen. „Mir geht es sehr schlecht“, sagt Windel nach der Verhandlung.

Gericht: Einigung könnte genugtuende Wirkung haben

Die Taten dürften verjährt sein, sagt der Richter. Eine in einer Güteverhandlung vereinbarte Schmerzensgeld-Zahlung könne aber eine genugtuende Wirkung für den Kläger haben, auch wenn dadurch das erlittene Leid nicht kompensiert werde.

Vor dem Landgericht Hildesheim protestieren unterdessen Missbrauchsbetroffene gegen die Haltung des Bistums Hildesheim. Sie verlangen, dass alle Bistümer und Ordensgemeinschaften in Deutschland in Zivilprozessen von Missbrauchsopfern auf die sogenannte Einrede der Verjährung verzichten. 

Ein Sprecher des Bistums Hildesheim sagt nach der Verhandlung, dass das Landgericht die Position des Bistums Hildesheim hinsichtlich der Verjährung gestützt habe. Dem Vorschlag, in eine Mediation zu gehen, folge das Bistum gerne. „Es bleibt abzuwarten, wie die Parteien sich dann zueinander verhalten.“ Ein zeitlicher Rahmen für die Güteverhandlung ist laut einem Gerichtssprecher noch nicht absehbar.

Jens Windel verlangt Schmerzensgeld vom Bistum Hildesheim.

Jens Windel verlangt Schmerzensgeld vom Bistum Hildesheim.

Foto: Michael Matthey

Der Missbrauchs-Betroffene Jens Windel hat das Bistum Hildesheim auf Schmerzensgeld verklagt. (Archivbild)

Der Missbrauchs-Betroffene Jens Windel hat das Bistum Hildesheim auf Schmerzensgeld verklagt. (Archivbild)

Foto: Moritz Frankenberg

Der frühere Messdiener Jens Windel (links) wird von Rechtsanwalt Christian Roßmüller unterstützt.

Der frühere Messdiener Jens Windel (links) wird von Rechtsanwalt Christian Roßmüller unterstützt.

Foto: Christina Sticht

1 Kommentare
S.Krzizek 08.11.202416:33 Uhr

Naja, war zu erwarten. Der Klassiker Kirche und Staat gegen Fußvolk. Plötzlich gelten Gesetze die nur dann ausgesetzt werden, wenn die Mächtigen für Ihre Fehler gerade stehen müssen Letzte große Sauerei war der zweite Weltkrieg, da haben Sie die Rattenlinien organisiert. Tja, Satans Kirche Ahoi. Sei böse und organisiere die Hölle, dann kommst du in den Himmel. Es gibt keinen Gott, das sollte so langsam jedem klar sein. Es ist nur eine weitere Erfindung zur Kontrolle von Menschen. Ohne Gewissen geht alles besser, sollten wir Opfer auch so machen und snschließend waschen wir uns auch in Unschuld. Aber dieser Sieg ist nicht von Dauer,
Weg mit der katholischen Kirche ist die einzige wahre Antwort....

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