Butjadingen Heimat-Check

Ärztemangel: Warum Butjadingen in einem großen Dilemma steckt

Butjadingen zählt rund 6000 Einwohner und beherbergt alljährlich unzählige Urlaubsgäste. Eine Zahnarztpraxis gibt es in der Gemeinde nicht mehr, und es sind nur noch zwei Hausarztpraxen verblieben. Wo ist der Ausweg aus dieser dramatischen Situation?

Stethoskope hängen in einer Arztpraxis.

Die älteren Ärzte hängen das Stethoskop an den Nagel, junge Mediziner wollen nicht aufs Land. Das ist das große Problem, das Butjadingen hat. Foto: Sebastian Gollnow

Bürgermeister Axel Linneweber war gerade fünf Monate im Amt, da gelang ihm im November 2020 ein großer Coup: Er zauberte einen neuen Arzt für Stollhamm aus dem Hut - und lieferte die Aussicht, dass in Kürze auch in Tossens eine neue Hausarztpraxis eröffnet würde, gleich mit dazu.

Viereinhalb Jahre später kassiert die Gemeinde Butjadingen in unserem großen Heimat-Check in der Kategorie „Gesundheitsversorgung“ die schlechteste aller bei der gesamten Umfrage vergebenen Noten. Ärztemangel ist das Problem, das den Butjenter am allermeisten unter den Nägeln brennt. Und die Gemeinde sieht nach Worten ihres Bürgermeisters keine Möglichkeiten, dieses Problem zu lösen, jedenfalls nicht aus eigenen Kräften. „Wir stehen der Situation ohnmächtig gegenüber“, räumt Axel Linneweber ein.

Reaktivierte Ruheständler füllen die Lücken auf

Mitte 2020 klaffte schon einmal eine große Lücke in der medizinischen Versorgung Butjadingens, nachdem der Stollhammer Allgemeinmediziner Dr. Markus Kluth seine kassenärztliche Zulassung abgegeben hatte, um fortan nur noch Privatpatienten zu behandeln. Ein Schlag ins Kontor für die Gemeinde. Doch es fand sich eine Lösung.

Gert von Heugel ist als Hausarzt in Stollhamm tätig.

Gert von Heugel ist als Hausarzt in Stollhamm tätig. 2020 gelang es, ihn aus dem Ruhestand zurückzuholen. Jetzt ist er einer von nur noch zwei in Butjadingen verbliebenen Allgemeinmedizinern. Foto: Reiprich

Dr. Robert Ceskel, Geschäftsführer des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) an der Adolf-Vinnen-Straße in Nordenham, gelang es, einen früheren Kollegen zu reaktivieren. Gert von Heugel hatte bis 2019 eine Praxis in Schwei betrieben und sich dann in den Ruhestand verabschiedet. Weil er aber feststellte, dass Müßiggang nicht seine Sache ist, willigte der Allgemeinmediziner ein, als Angestellter von Robert Ceskel eine Arztpraxis zu übernehmen, die im ehemaligen Küsterhaus in Stollhamm für ihn eingerichtet wurde.

Im Spätherbst 2021 gelang dieses Kunststück auch in Tossens. Der Allgemeinmediziner Viktor Ortlieb, der sich ebenfalls bereits im Ruhestand befunden hatte, übernahm eine Praxis im ehemaligen Gebäude der Raiffeisenbank - wiederum als Angestellter des MVZ in Nordenham. Zusammen mit Dr. Silke Monatz in Burhave und der Stollhammer Zahnärztin Dagmar Strauß hielten die beiden reaktivierten Ruheständler die medizinische Versorgung in Butjadingen aufrecht.

Situation hat sich in Butjadingen dramatisch verschlechtert

Vier Jahre später hat sich die Situation dramatisch verschlechtert. Ende März schloss Dagmar Strauß ihre Zahnarztpraxis. Bereits seit Anfang 2024 ist auch die Praxis in Tossens verwaist. Viktor Ortlieb hatte sich aus Alters- und Gesundheitsgründen zurückgezogen; inzwischen ist er verstorben. Damit sind Dr. Silke Monatz in Burhave und Gert von Heugel in Stollhamm, inzwischen Mitte 70, die letzten verbliebenen Mediziner in einer Gemeinde mit rund 6000 Einwohnern und unzähligen Urlaubsgästen.

Kann ein solcher Coup wie 2020 erneut gelingen? Dafür sieht Dr. Robert Ceskel schwarz. Er versucht seit anderthalb Jahren, einen Nachfolger für Viktor Ortlieb zu finden - vergeblich. Ruheständler, die Lust haben, in den Beruf zurückzukehren, stehen nicht unendlich zur Verfügung. Und junge Ärzte, diese Erfahrung hat Robert Ceskel machen müssen, wollen nicht aufs Land.

Bürgermeister Axel Linneweber sieht für die Gemeinde keine Handhabe, um Ärzte nach Butjadingen zu locken.

Bürgermeister Axel Linneweber sieht für die Gemeinde keine Handhabe, um Ärzte nach Butjadingen zu locken. Ihm bleibt nur, auf ein kleines Wunder zu hoffen. Foto: Glückselig

Die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen (KVN) fördert unter bestimmten Voraussetzungen Niederlassungen im ländlichen Raum mit einem Investitionskostenzuschuss in Höhe von bis 60.000 Euro. Doch das scheint nach den aktuellen Erfahrungen von Robert Ceskel und Axel Linneweber kein ausreichender Anreiz zu sein, um Ärzte nach Butjadingen zu locken. „Für uns ist das kein Alleinstellungsmerkmal, sondern wir stehen in Konkurrenz zu anderen ländlichen Gebieten“, macht Axel Linneweber deutlich.

Laut Dr. Sainab Egloffstein, Geschäftsführerin der Bezirksstelle Wilhelmshaven der KVN, beträgt der Grad der Versorgung mit Hausärzten im Versorgungsgebiet Nordenham, zu dem auch Butjadingen und Stadland zählen, aktuell 95,9 Prozent. Das würde, obwohl die KVN grundsätzlich einen Versorgungsgrad von 110 Prozent anstrebt, noch nicht die Ausschreibung von Niederlassungsprämien rechtfertigen.

Kassenärztliche Vereinigung rechnet mit Zuspitzung der Situation

Die Kassenärztliche Vereinigung stellt aber auch Prognosen an und zieht dabei den jeweiligen Altersdurchschnitt der in einem Gebiet praktizierenden Ärzte ins Kalkül. Da dieser Durchschnitt im betreffenden Versorgungsgebiet hoch ist, geht die KVN davon aus, dass sich die Situation noch zuspitzen wird. Um gegenzusteuern, hat sie für zwei Hausarztsitze im Versorgungsgebiet Nordenham eine Förderung ausgeschrieben.

Gefördert wird auch die Niederlassung eines Hautarztes und eines Hals-Nasen-Ohrenarztes. Ob Butjadingen davon und von der Hausarzt-Prämie profitieren kann, bleibt abzuwarten. Axel Linneweber hofft eher darauf, dass sich Mediziner finden, die nach Butjadingen kommen, weil sie gerne hier leben und arbeiten möchten. Allerdings ist ihm klar, dass das die Suche nach der Nadel im Heuhaufen ist.

Detlef Glückselig

Redaktionsleiter

Er ist mit Leib und Seele Lokaljournalist. Seit 1984 berichtet er aus der Wesermarsch. Es sind die Menschen und ihre Geschichten, die ihn interessieren. Detlef Glückselig ist der Redaktionsleiter der Kreiszeitung.

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