Wie eine Wollexpertin mit 58 das Internet umgarnt

10.000 Abonnenten in YouTube. Zwei gut besuchte Facebook-Seiten. Eine private Facebook-Gruppe mit über 2200 Mitgliedern. 2300 Abonnenten auf Instagram. Dutzende Pinnwände auf Pinterest. Ein edler Webshop auf Wordpress-Basis. Und alles ist perfekt miteinander vernetzt. Der Internet-Auftritt eines Digital Native? Nein: Diese Zahlen und Begriffe beschreiben das digitale Wirken der 58-jährigen Gabriele Sinzig-Freese aus Bremerhaven. Wir haben die quirlige Wollfärberin im Netz und in ihrem Laden besucht und nach ihrer Erfolgsmasche im Internet gefragt.

Ob Bekenntnis zu ihrer Marke, Webshop oder Social Media: Wollfärberin Gabriele Sinzig-Freese tut alles konsequent.

Ob Bekenntnis zu ihrer Marke, Webshop oder Social Media: Wollfärberin Gabriele Sinzig-Freese tut alles konsequent. Foto: Lothar Scheschonka


Gabriele Sinzig-Freese ist 58 Jahre – und der lebende Beweis dafür, dass man nicht jung und technikaffin sein muss, um im Internet Erfolg zu haben: Seit sechs Jahren färbt die lebhafte Bremerhavenerin Wolle, und seit über drei Jahren verkauft sie ihre Garne über das Internet. Mehr noch: Sie ist eine Influencerin in der digitalen Strick-Szene.

Natürlich: Die Basis Ihres wachsenden Erfolges sind zum einen ihre Garne, in der bunten Hafenstraße von ihr selbst handgefärbt, mit Namen wie „Korallentraum“ und „Avendsünn“, „Holy Shit“ und „Feelbremerhaven“ benannt, unter dem augenzwinkernden Markennamen „Wolloholiker“ vertrieben.

Der Treiber ihres E-Commerce ist Social Media

Der Treiber ihres Geschäftes aber ist Social Media. Keine Marketingagentur hat der gebürtigen Schwäbin dazu geraten, und kein Berater hat ihr den Weg in die sozialen Netzwerke gewiesen. Gabriele Sinzig-Freese selbst hat gespürt, wie sie mit ihren Stricknadeln auch das Internet umgarnen kann.

Für magische Farben hat die Wollfärberin ein Händchen.

Für magische Farben hat die Wollfärberin ein Händchen. Foto: Lothar Scheschonka

Im Zentrum steht ein Webshop, in dem sie ihre geschmackvoll gefärbten Wollstränge anbietet. Die Wollfärberin hat das Glück, einen Mann zu haben, der im Digitalbusiness arbeitet. Er baute ihr vor drei Jahren den Shop auf Wordpress-Basis auf und pflegt ihn bis heute.

Ein Web-Shop alleine bringt noch keinen Umsatz

Als der geschmackvoll und professionell gemachte Laden ins Netz ging, durchlebte Gabriele Sinzig-Freese die Erfahrung vieler Starter im E-Commerce: Ein guter Web-Shop ist dafür unerlässlich, bringt alleine aber noch keinen Umsatz. Er ist gleichsam ein Laden in einer Riesenmetropole, den keiner kennt.

Ladenlokal und E-Commerce – für Wolloholiker ein ideales Paar.

Ladenlokal und E-Commerce – für Wolloholiker ein ideales Paar. Foto: Lothar Scheschonka

Mr. Wolloholiker sorgte selbstredend mit Suchmaschinenoptimierung dafür, dass der Webshop in Google besser als andere gefunden wurde. Mit diesen Kniffen aber arbeiten viele andere Shops auch, und an den Großen der Branche kommt man auch mit der besten SEO (Search engine optimization) nicht vorbei. Wirkliche und vor allem nachhaltige Reichweite im Netz baute das Strick-Start-up aus Bremerhaven durch gezieltes Wirken in Social Media auf.

Eine digitale Wohnküche mit 2200 Freundinnen

Gabriele Sinzig-Freese etablierte dafür neben ihrer persönlichen Seite auch eine Firmenseite in Facebook, die heute über 900 Abonnenten hat (Stand aller Zahlen ist Ende März 2021). Noch wichtiger aber ist ihre private Facebook-Gruppe „Wolloholiker – Strick schneller, das Leben ist kurz“. Über 2200 Mitglieder tauschen sich dort über ihr wolliges Hobby aus – und oft stricken sie mit Garnen, die in Bremerhaven gefärbt worden sind. Gabriele Sinzig-Freese zur Funktion dieser Gruppe: „Das ist meine gemütliche Wohnküche, in der wir uns treffen, plaudern und stricken.“

Wolloholiker hat schon immer gerne gestrickt – „zum Runterkommen“.

Wolloholiker hat schon immer gerne gestrickt – „zum Runterkommen“. Foto: Lothar Scheschonka

Die meiste Zeit aber investiert die Wollfärberin in den Video-Kanal YouTube. Als „Gabriele von Wolloholiker“ veröffentlicht sie dort selbst produzierte Filme. Jedes Wochenende gibt es unter dem Titel „Sonntagszeit ist Videozeit“ 30, 40 oder auch schon mal 60 Minuten mit ihr – eine lockere Mischung aus Plauderei und Fachsimpelei über die Welt des Strickens, ihre neuen Garne und Färbungen, ihren Shop, ihre Woche. Über 130 dieser Sonntagsvideos hat Gabriele Sinzig-Freese schon ins Internet gestellt. Jedes dieser Videos, in denen es menschelt und schwäbelt, hat mehrere tausend Aufrufe, und jedes bringt ihr neue Gäste in ihre digitale Wohnküche.

Einfache Babypuschen stricken: 89.000 Aufrufe

Noch erfolgreicher aber sind die Anleitungsvideos der Wolloholikerin. Ihr Hit ist der Clip „Einfache Babypuschen stricken“ – 89.000 Aufrufe, 885 „Mag ich“, 65 Kommentare, gefolgt von „Quadrate aus Sockenwollresten stricken“ (rund 80.000 Aufrufe) und „Häkeltuch Adeline“ (52.000 Aufrufe).

Gabriele Sinzig-Freese ist eine der 50 offiziellen Influencer der Aktion feelBREMERHAVEN, die von der Stadt Bremerhaven und von NORD|ERLESEN getragen wird.

Gabriele Sinzig-Freese ist eine der 50 offiziellen Influencer der Aktion feelBREMERHAVEN, die von der Stadt Bremerhaven und von NORD|ERLESEN getragen wird. Foto: Lothar Scheschonka

Ihre Community liebt diese meist 10 bis 30 Minuten langen Videos: „Wunderbar erklärt, schöne sanfte Stimme“, kommentiert eine Gisela Lehmann, „Hab noch nie Babyschuhe gestrickt. Parallel zum Video mitgestrickt, was sehr gut funktioniert hat. Ohne das hätte ich es sicher nicht so schnell hinbekommen“, bedankt sich eine „gabi diwersi“.

Seit März 10.000 Abonnenten bei YouTube

Im März 2021 feierte Gabriele Sinzig-Freese einen bemerkenswerten digitalen Etappensieg in YouTube: Sie konnte Abonnentin Nr. 10.000 begrüßen.

Dieser Zuspruch und die stetig wachsenden Abrufzahlen sind hart erarbeitet: Für ihre Sonntagsvideos, die ohne viele Schnitte auskommen, investiert die 58-jährige Influencerin vom Konzipieren bis zum Hochladen vier bis sechs Stunden. Die wegen der vielen Einzelschritte aufwendigeren Anleitungsvideos fressen 10 bis 20 Stunden –„ohne Stricken“, wie Miss Wolloholiker betont.

Auch auf Pinterest und Instagram aktiv

YouTube und Facebook sind die Hauptquellen ihrer Reichweite. Auf der digitalen Ideensammlung Pinterest pflegt Gabriele Sinzig-Freese Dutzende von gut bestückten und immer zu ihr verlinkten Pinnwänden, und die Bilderwelt Instagram hat sie mittlerweile mit über 800 Beiträgen gefüttert. 2300 Abonnenten hat sie hier – für Instagram und ihr Genre ein respektabler Wert.

Alle Ausspielwege sind miteinander verknüpft, und immer arbeitet die frühere Rekrutiererin aus der Security-Branche konsequent mit Hashtags wie #strickliebe, #yarnporn oder #mustermaschenmittwoch, die ihre Beiträge im Netz findbar machen.

Schnelle und persönliche Antworten

Und alle Plattformen haben ihre eigene strategische Rolle: YouTube generiert Reichweite und Neukunden, Pinterest ist gut zum Verlinken und Verknüpfen, Instagram pflegt das Image, in ihrer Facebookgruppe ist es vertraut und am persönlichsten. Und überall beantwortet Wolloholiker alle Kommentare zeitnah und individuell. Für sie ist das „eine Frage der Höflichkeit“.

Am Ende zeigt der Umsatz den Erfolg

Spätestens beim Messen des Erfolges aber erweist sich Gabriele Sinzig-Freese als Geschäftsfrau, die rechnen kann. Reichweite, Abrufe, Kommentare und Likes monitort sie, aber am Ende muss alles auf den Webshop einzahlen.

In ihrer blitzsauberen und wohlgeordneten Werkstatt färbt Gabriele Sinzig-Freese Garne aus aller Welt.

In ihrer blitzsauberen und wohlgeordneten Werkstatt färbt Gabriele Sinzig-Freese Garne aus aller Welt. Foto: Lothar Scheschonka

Und wie gut funktioniert das? „Ich mach kein Minus“, lächelt die bekennende Schwäbin („Mir sin wägn Geiz ausgwiesene Schotten!“) . Erst auf Nachfragen gibt sie preis: „Ich kann davon leben.“ Auch YouTube trägt mittlerweile dazu bei: Weil ihre Videos dort so gut laufen, schaltet die Plattform kurze Werbeclips davor. Die farbenliebende Influencerin wird an deren Erlös beteiligt. „Ein schönes passives Einkommen“, freut sich Wolloholiker, die auch eine der 50 offiziellen Influencer für Bremerhaven ist.

Eine 6,5-Tage-Woche

Hinter allem Zuspruch und Erfolg steckt viel Arbeit: Pro Monat gibt es zwei Shop-Updates mit neuen Färbungen, jeden Tag sind Kommentare und Bestellungen zu bearbeiten, meist von Damen zwischen 55 und 65. 10 bis 15 Sendungen pro Tag, meist drei bis vier Stränge Wolle in bunten Tüten, gehen via DHL EU-weit raus, gemanagt von ihrem Gatten. Sie hat ihm dafür eigens einen Stempel spendiert: „Mit Liebe gepackt von Mr. Wolloholiker“. Aufwand alles in allem? „I hab scho eine 6½-Dage-Woche“, verrät Gabriele Sinzig-Freese – lacht dabei aber glockenhell.

Ihre Garnvorräte stapeln sich bis unter die Decke.

Ihre Garnvorräte stapeln sich bis unter die Decke. Foto: Lothar Scheschonka

Und wer hat ihr das virtuose Klappern in Social Media beigebracht? Die muntere Unternehmerin hatte nie professionelle Beratung dafür. Sie ist ein Fan von „Learning by doing“ und „Reagieren auf Gemecker“, auch misst sie Technik und Tools eher wenig Bedeutung bei. Ja, sie hat ein Ringlicht und ein Schwanenhalsstativ für die How-To-Videos. Aber zum Filmen reicht ihr Handy, findet sie. In Social Media ist für sie Content King – und die Liebe zum Austausch mit Menschen: „Ich habe schon immer gerne kommuniziert, und war immer gut vernetzt. Und auch im Internet bin ich so, wie ich bin.“

Ihr farbenfrohes Ladengeschäft

Trotz allen Talents zum Digitalen und trotz ihrer Erfolge im E-Commerce aber leistet sich Wolloholiker auch ein klassisches Ladengeschäft. Nach der Etablierung ihres Webshops hat sie auch einen analogen Woll-Laden eröffnet – in der Bremerhavener Hafenstraße, für die die Färberin wegen deren Buntheit schwärmt. Mitten in Corona zog sie in einen größeren Laden – wieder in der Hafenstraße. 101 Quadratmeter – mit akkurat geordneter Färbewerkstatt, Lager bis unter die Decke, dem wohl farbenfrohesten Ladenlokal ganz Bremerhavens und gemütlicher Strickecke.

Wolloholiker versteht ihr Geschäft – auch augenzwinkernd.

Wolloholiker versteht ihr Geschäft – auch augenzwinkernd. Foto: Lothar Scheschonka

Die ist, wegen Corona, noch verwaist. Doch wenn die Pandemie besiegt ist, werden hier die Nadeln klappern, wird es hier ausgebuchte Workshops mit den Gurus der Strickszene geben. Die 58 Jahre alte Influencerin Gabriele Sinzig-Freese, die so virtuos Social Media bestrickt, freut sich darauf schon jetzt: „Ich sprech halt so gern mit Menschen.“

Ein kleiner Teil der Pinsel-Palette von Wolloholiker.

Ein kleiner Teil der Pinsel-Palette von Wolloholiker. Foto: Lothar Scheschonka

Christian Lindner
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