Beim Pilgern ist der Weg das Ziel

Es begann wohl mit dem Buch, das Hape Kerkeling 2006 über seinen Pilgerweg nach Santiago de Compostela geschrieben hat. Zu Fuß die uralten Wege zu gehen, die sich durch Europa ziehen und dabei Alltag, Krankheiten und Ungewißheiten hinter sich zu lassen, hat einen besonderen Reiz, der Jahr für Jahr Menschen dazu motiviert loszugehen. Die bekanntesten Strecken sind die Jakobswege, aber es gibt auch weniger bekannte, wie zum Beispiel die Via Romea.

Mit dem Pilgerstab gehen Thomas Dahms und Streckenpatin Sigrid Strüber vorweg entlang der Etappe von Heeslingen nach Zeven.

Mit dem Pilgerstab gehen Thomas Dahms und Streckenpatin Sigrid Strüber vorweg entlang der Etappe von Heeslingen nach Zeven. Foto: Hennings

Diese Strecke führt von Stade über den Brenner nach Rom und war lange Zeit in Vergessenheit geraten. Der Pilgerweg folgt den Spuren des Abtes Albert von Stade. Er pilgerte 1236 nach Rom, um den Papst um die Genehmigung der neuen Ordensregel seiner Gemeinschaft zu bitten. In detaillierten Aufzeichnungen beschrieb er verschiedene Wege, die vor mehr als zehn Jahren von dem Förderverein „Romweg – Abt Albert von Stade“ wiederbelebt wurden. Seit 2020 ist die Via Romea eine zertifizierte „Kulturroute des Europarates“.

Im Pilgerbuch gibt es für jede Station einen Stempel. Es ist der Nachweis des Pilgers, dass er den Weg zurückgelegt hat.

Im Pilgerbuch gibt es für jede Station einen Stempel. Es ist der Nachweis des Pilgers, dass er den Weg zurückgelegt hat. Foto: Hennings

Begegnungen stehen im Mittelpunkt der europäischen Pilgerwanderung auf dem Via Romea, die Mitte Juni in Stade gestartet ist und am 13. Oktober in Rom enden soll. „Pilger öffnen Horizonte“ lautet das Motto der Aktion und das bedeutet in diesem Fall über von Menschen festgelegte politischen Grenzen und Glaubensrichtungen hinweg. „Die Via Romea ist über 2000 Kilometer lang, führt durch Deutschland, Österreich und Italien“, erklärt Thomas Dahms vom Vorstand des Fördervereins. Sie verbindet das, was durch Grenzen getrennt ist. Und was war, was ist die Motivation des 57-Jährigen aus Ostfalen im östlichen Niedersachsen, sich auf diesen langen Weg, er ist die Strecke bereits dreimal gegangen, zu machen? Da muss der Historiker gar nicht lange überlegen: „Frieden und Begegnung.“

Grenzen überwinden

Wichtig ist Thomas Dahms, dass diese Pilgerwanderung offen für alle ist, die mitgehen wollen. „Es ist ein stetiger Wechsel in der Gruppe und es spielt keine Rolle, ob man gleich von Anfang an dabei ist, oder später dazukommt, nur einige Tage mitpilgert, oder bis nach Rom geht.“ Nan Karlson zum Beispiel ist im norwegischen Asker am 3. Mai gestartet, hat sich am Sonntag der Gruppe angeschlossen, die in Stade gestartet ist und wird bis Rom gehen.

Während Pilgerreisen ursprünglich religiös motiviert waren, hat heute jeder Pilger seine ganz eigenen Gründe, um den Rucksack zu packen, die Wanderschuhe zu schnüren und loszugehen.

Auf dem Weg von Heeslingen nach Zeven geht die Gruppe auch am Haus von Brigitte Kammigan in Offensen vorbei, bei ihr können Pilger übernachten.

Auf dem Weg von Heeslingen nach Zeven geht die Gruppe auch am Haus von Brigitte Kammigan in Offensen vorbei, bei ihr können Pilger übernachten. Foto: Hennings

„Ich habe vor vielen Jahren einen Freund getroffen, der gerade gepilgert war und so strahlende Augen hatte. Das wollte ich auch“, erinnert sich Sigrid Strüber. 2009 begann die 67-Jährige aus Stade zusammen mit einer Freundin das Projekt Via Romea in Etappen anzugehen. Nach sieben Jahren und monatelangen Pausen zwischen den Strecken erreichte sie Rom. Ihre Freundin war zu der Zeit nicht mehr dabei. „Am Anfang gingen wir immer im Gleichschritt, aber das veränderte sich im Laufe der Pilgerreise. Vor Rom stellten wir fest, dass ihr die Familie wichtiger ist und mir das Pilgern. Daher legte ich die letzte Etappe alleine zurück.“

Inzwischen ist Sigrid Strüber schon so einige Pilgerwege gegangen. Sie ist Patin der Via Romea-Strecke von Stade bis Zeven. Sie schätzt die Reduziertheit während des Pilgerns und die geschärfte Aufmerksamkeit für die Umgebung. „Pilgern bedeutet gehen, essen, trinken, schlafen und natürlich die Begegnungen mit den Menschen. Wenn ich gehe höre ich die Vögel zwitschern, rieche den Wald, die Wiesen, spüre das Wetter. Das geht mir im Alltag leider verloren.“ Und glücklicherweise kennt das Pilgern keine Altersbeschränkung. „Durch Schleswig Holstein ist eine 82-Jährige mitgelaufen. Etwas langsamer, aber immer noch topfit“, erinnert sich Sigrid Strüber begeistert.

Den Kopf frei bekommen

Zu der Reduziertheit gehören auch die einfachen Übernachtungen. „Wir schlafen in Turnhallen oder in Gemeindehäusern. In Heeslingen zum Beispiel haben wir die Nacht im Heimathaus verbracht. Natürlich gibt es auch Pilger, die für die Nächte Hotels buchen, das macht jeder so, wie es ihm gefällt“, erzählt die Streckenpatin.

Andreas, wir belassen es an dieser Stelle beim Vornamen, ist in Heeslingen zu den Pilgern gestoßen und begleitet die europäischen Wanderer auf einem kleinen Teil der Strecke. Corona, Lockdown, Homeoffice und -Homeschooling haben ihn an sein absolutes Limit gebracht. Diagnose Burnout. „Dadurch habe ich das Wandern für mich entdeckt. Es ist der perfekte Weg, das Gedankenkarussell zu unterbrechen und den Kopf wieder frei zu bekommen.“

Via Romae in Deutschland

Karte: maps4news.com/©OSM

Es gibt viele Pilgerwege, die kreuz und quer durch Deutschland und Europa führen. Es folgt eine kleine Auswahl.

1. Jakobsweg

Einer der bekanntesten Pilgerwege weltweit ist der Jakobsweg. Die Jakobswege waren ursprünglich Handelsstraßen, die auch von Pilgern genutzt wurden. Der eigentliche Jakobsweg ist der Camino Francés, der von den Pyrenäen nach Santiago de Compostela im nördlichen Spanien führt. Ein breites Wegenetz führt durch die europäischen Länder auf diesen Weg. Sein Zeichen ist die stilisierte gelbe Jakobsmuschel.

2. Via Romea

Die Via Romea ist 2200 Kilometer lang, beginnt in Stade, führt über Österreich und den Brenner und trifft auf dem letzten Abschnitt westlich von Viterbo in Mittelitalien auf die Via Francigena, die direkt nach Rom führt. Ihr Zeichen ist der Pilgerstab auf violettem Grund.
3. Lutherweg

Der Lutherweg ist rund 400 Kilometer lang und führt durch die Bundesländer Hessen, Thüringen, Bayern, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Er beginnt an der Wartburg in Eisenach und endet in Worms. Den Namen erhielt der Pilgerweg durch Martin Luther, der vermutlich im Jahre 1521 diesen Weg zurücklegte. Zu erkennen ist der Pilgerweg an einem grünen L auf weißem Grund.

4. Eifelsteig
Der Eifelsteig ist 313 Kilometern lang und landschaftlich reizvoll. Felsen, viel Wasser, das größte intakte Hochmoor Europas, Kirchen und Klöster begleiten die Strecke.

5. Crescentia-Pilgerweg

Durch das Allgäu führt der 90 Kilometer lange Crescentia-Pilgerweg. Verschiedene Stationen gedenken der Heiligen Crescentia von Kaufbeuren, die von 1682 bis 1744 lebte.

6. Hermannsweg

Der Hermannsweg im Teutoburger Wald folgt den Spuren Arminius, oder Hermann des Cheruskers, der die Römer in der Varusschlacht schlug. Dieser Weg ist

156 lang, beginnt in Rheine und führt bis nach Marsberg.

7. Alte Salzstraße

Eine alte Nord-Süd-Verbindung, die heute zu den Pilgerwegen in Deutschland gehört, ist die Alte Salzstraße von Lübeck nach Lüneburg. Die ehemalige Handelsroute ist 116 Kilometer lang.


Sabine Hennings

Reporterin

Sabine Hennings wurde in Hamburg geboren. Sie arbeitet seit 2001 für die Zevener Zeitung, seit 2015 als Redakteurin. Sabine hat Kommunikationsdesign in Hamburg studiert.

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