"Ich wurde so gestalkt, dass ich sterben wollte"

Wer gestalkt wird, lebt nicht mehr gut. Auch in Bremen und Niedersachsen sind jährlich Tausende von Stalking betroffen. Meistens sind es Frauen, und in der Regel werden sie von einem früheren Partner verfolgt. Sie leiden oft heftig und meist zu lang. Die Justiz tut sich schwer mit der Aufklärung und Ahndung von Stalking. Eine Serie von NORD|ERLESEN – die aufrütteln, aufklären und helfen soll. Folge 2: Eine junge Frau, die von ihrem Ex-Partner massiv gestalkt wurde, berichtet.

Im zweiten Teil unserer Stalking-Serie berichtet eine junge Frau, dass der Ex-Partner ihren Laptop gehackt hat, um sie zu kontrollieren.

Im zweiten Teil unserer Stalking-Serie berichtet eine junge Frau, dass der Ex-Partner ihren Laptop gehackt hat, um sie zu kontrollieren. Foto: David Edwards/Adobe Stock


Stalking belastet die Betroffenen extrem – auch dann noch, wenn das Stalken vorbei ist. Die klassischen Instrumente von Polizei und Justiz greifen oft nicht. Nur 3,5 Prozent aller Nachstellungsfälle enden mit einer Verurteilung. Das peinigt die Verfolgten zusätzlich.

Auch deshalb hat NORD|ERLESEN für diese Serie intensiv mit etlichen Betroffenen aus der Region gesprochen. Mit Frauen, die gestalkt wurden. Mit Männern, die gestalkt wurden. Wir haben ihnen zugehört, oft lange.

Betroffene kommen zu Wort

Wir haben uns entschlossen, sie hier ausführlich zu Wort kommen zu lassen. So, wie sie uns ihren Fall geschildert haben. Als Dokumentation ihres Erlebens und ihres Leidens. Mit Rücksicht auf ihr Leben nach dem Stalking ohne Nennung von Namen und Details, die sie erkennbar machen könnten.

Fall 1: Eine junge Frau aus dem Raum Bremerhaven, heute Mitte 30, berichtet, wie sie ein Jahr lang von einem kurzzeitigen Partner verfolgt wurde – so massiv, dass sie nicht mehr leben wollte. Und dass nicht Polizei oder Justiz, sondern Bekannte eines Bekannten das Problem lösten. Auf ihre Weise. Hier der Bericht der jungen Frau:

"Ein Jahr in der Hölle"

„Ich bin 2008 gestalkt worden, von meinem ehemaligen Partner. Drei Monate Beziehung habe ich mit einem Jahr in der Hölle bezahlt. Dieses Jahr hat mich alles gekostet – meine Gesundheit, und das Wertvollste, das eine Frau haben kann. Ich war psychisch so am Ende, dass ich sterben wollte.

Es begann ganz harmlos. Ich lebte damals noch in einer anderen Stadt in Norddeutschland und lernte über das Internet einen jungen Mann kennen. Er war so ein Netter, das glaubt man nicht! Und wenn man verliebt ist, achtet man nicht auf die Kleinigkeiten, die merkwürdig sind. Schon nach einem Monat Beziehung ist er bei mir eingezogen. Anfangs habe ich gar nicht gemerkt, dass er immer besitzergreifender wurde.

"Ich hab gesagt: bitte geh"

Dann habe ich gemerkt, dass er mir nachschleicht, und ich habe gesehen, dass er nachts etwas auf mein Laptop geladen hat. Nach drei Monaten wurde es mir zu eng, und ich habe die Beziehung beendet. Ich hab gesagt: bitte geh. Das hat geklappt, aber es muss in ihm Hass auf mich ausgelöst haben.

Er hat angefangen, mich zu überwachen. Er war wie ein Schatten, der immer da war. Irgendwann habe ich gemerkt: Der wusste immer, wo ich war! Meine Familie und Freunde gehen mir über alles, und ER tauchte da auf!

"Ein eiskalter Psychopath"

Gedroht hat er mir nie. Aber er hat mich wissen lassen: Ich weiß, wo Du und Deine Familie und Deine Freunde seid. Das war für mich Drohung genug. Ich wusste nach unseren drei Monaten: Hinter seiner Maske der Freundlichkeit steckte eiskalter, abgebrühter Psychopath. Der wäre zu allem fähig gewesen.

Er hat sogar seinen Job fallengelassen, um mich zu überwachen. Er wollte die totale Kontrolle über mein Leben. Ich sollte ihm gehören. Ich sollte sein Eigentum sein. Ich nehme an, dass ich in ihm Gefühle ausgelöst hatte, die aus seiner Sicht nicht sein durften. Dafür sollte ich leiden.

"In mein Laptop gehackt"

Ein paar Wochen nach der Trennung hat mein Bruder mir per Messenger geschrieben: Was schreibst Du mir gerade für merkwürdige Sachen? Ich hab da aber nichts geschrieben! Da dämmerte mir: Er hatte sich, als wir noch zusammen waren, in mein Laptop eingehackt und konnte mich so überwachen.

Er wird das von Anfang an geplant haben. Er hat Leute aus meinen Adressverzeichnis angeschrieben und behauptet, dass ich Gewalt mag. Er hat ihnen meine Privatadresse rausgegeben und versucht, sie mir auf den Hals zu hetzen, damit sie mir Gewalt antun.

"Auch mein Kind verloren"

Es wurde so schlimm, dass ich das Haus nicht mehr verlassen habe. Ich habe auch meine Mutter angefleht, zuhause zu bleiben. Meine Freunde von mir waren reihum bei mir, weil ich sterben wollte. Ohne meine Freunde und meine Familie würde ich nicht mehr leben. Mit das Schlimmste war, dass ich an meinem eigenen Verstand gezweifelt habe. In dieser Zeit habe ich auch mein Kind verloren. Unsere Beziehung hatte Folgen gehabt.

Ja, ich war bei der Polizei und auch beim Weißen Ring. Das hat aber überhaupt nichts gebracht. Bei der Polizei habe ich fürchterlich geweint. Eine Polizistin war da sehr nett zu mir. Aber sie hat mir auch gesagt: Wir können Ihnen nicht helfen.

"Für mich geregelt"

Geholfen haben mir dann Freunde. Ein Bekannter hat mir meinen Laptop völlig neu aufgebaut, damit das Ausspionieren ein Ende hat. Ich habe ihm auch ein Bild und die Adresse von dem Stalker gegeben.

Er kennt Leute, die sich auch die Hände schmutzig machen, wenn es sein muss. Die haben das dann für mich geregelt. Sie haben mir danach gesagt: Du brauchst jetzt keine Angst mehr zu haben, Du stehst unter unserem Schutz – und Dein Stalker weiß das jetzt.

"Seelenheil zurückgegeben"

Nein, nicht das was Sie jetzt denken. Der lebt noch, und dem fehlt auch kein Finger. Er läuft auch immer noch fröhlich im Internet auf der Suche nach Frauen rum. Aber er wusste dann halt, dass er unter deren Beobachtung steht. Diese Leute haben mir mein Seelenheil zurückgegeben.

Ja, man muss sich selbst Hilfe suchen.

Ich bin froh, dass ich mit dem Leben davongekommen bin. Aber es hat mich viele Jahre Therapie gekostet, darüber reden zu können. Und dass ich mein Kind verloren habe, ist bis heute ein Trauma für mich. Ich nehme immer noch starke Psychopharmaka, habe Magenprobleme.

"Lebenslang Folgen"

Stalking hat lebenslang Folgen; man trägt es immer in sich. Auch wenn es vorbei ist, ist es nicht vorbei.

Schlimm ist auch, dass die Betroffenen sich oft aus Angst und Scham zurückziehen und fast von der ganzen Welt vergessen werden. Und oft werden die Betroffenen sogar nicht ernst genommen und belächelt.

Was ich Betroffenen rate? Gerade am Anfang einer Beziehung muss man auf jede Kleinigkeit achten, egal wie verliebt man ist. Man sollte immer auf sein Bauchgefühl hören, so wie man auch eine dunkle Gasse meidet. Und man muss auch immer auf merkwürdiges Verhalten achten, zum Beispiel, wenn der Partner an dein Handy oder Laptop geht.

"Steht auf! Wehrt Euch!"

Und solltet Ihr gestalkt werden: Steht auf! Wehrt Euch! Lasst Euch nicht zum Opfer machen!

Ignorieren reicht nicht. Solange man dem Stalker nicht Einhalt gebietet, macht er weiter. Und es wird immer schlimmer.

Kein Mensch hat das Recht, einem anderen das anzutun.“

(aufgezeichnet von Christian Lindner)


Stalking? Wir hören Ihnen zu. Vertraulich.

Sie sind oder waren von Stalking betroffen? Sie kennen jemanden, der gestalkt wird? Sie haben selber gestalkt, sich aber davon lösen können? Sie haben beruflich mit Stalking zu tun? Wir hören Ihnen gerne zu und sprechen mit Ihnen – selbstredend vertraulich. Sie erreichen unseren Reporter via christian.lindner@nordsee-zeitung.de

Christian Lindner
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