Und zwar auf allen Seiten: „Die Pandemie hat den Menschen eine Menge abverlangt. Wir haben oft den Eindruck, dass viele Patienten jetzt nur noch ihre Interessen durchgesetzt sehen wollen. Ohne Rücksicht auf Verluste“, sagt die Bremerhavener Ärztin. Sie möchte nicht namentlich genannt werden, weil sie um das Wohl ihrer Angestellten fürchtet. Denen wurde bereits mehrfach von Patienten früh morgens vor der Praxis aufgelauert, weil diese als erstes im Wartezimmer sein oder ihre Anliegen bereits vor der Praxis-Öffnung berücksichtigt wissen wollten. „Darunter waren auch Patienten, die aufgrund einer Corona-Infektion in Quarantäne sein sollten“, sagt die Ärztin kopfschüttelnd.
Bis zu 400 Anrufe gingen an einem Vormittag in der Praxis ein. Besuche dort müssen wegen der Pandemie angemeldet werden. „Natürlich kann es etwas dauern, bis ein Anruf bearbeitet werden kann“, erzählt die Medizinerin. Schon hier würden die Mitarbeiter häufig beschimpft, weil es den Anrufern zu lange dauere: „Kein Verständnis, keine Geduld.“
Gepöbel und Verstöße gegen Vorschriften
Das trifft auch auf das Tragen von Masken im Praxisbereich zu: „Wir hatten hier Tage, da hat kaum jemand eine FFP2-Maske getragen. Wenn wir darauf hinweisen, dass das Vorschrift ist, wird vielfach gepöbelt. Wir haben auch schon zu hören bekommen, dass in Dänemark schließlich auch keine Maskenpflicht herrsche.“ Und dann seien da noch Versuche von Ungeimpften, per Attest eine Befreiung von der Testpflicht zu erlangen: „Von Kerngesunden.“ Kürzlich habe ein wütender Patient das Schloss der Eingangstür demoliert. „Bis zu einem gewissen Grad haben wir für die allgemeine Gemütslage Verständnis. Die Menschen sind der Einschränkungen müde. Aber dafür können wir in den Hausarztpraxen nichts“, so die Ärztin.

Forderungen, Drängeln, Türenknallen: Hausärzte-Obrfrau Dr. Birgit Lorenz sieht in dem Verhalten aggressiver Patienten einen Ausdruck von Unmut und nicht selten eigener Verunsicherung. Foto: Arnd Hartmann
„Ich habe teilweise richtig Angst zur Arbeit zu gehen“, beschreibt eine der Praxis-Mitarbeiterinnen die psychischen Auswirkungen ihres Arbeitsalltags. „Um den Arbeitsaufwand zu bewältigen, fangen wir alle früher an, machen Überstunden. Trotzdem werden besonders die jungen Kolleginnen als unfähig diffamiert. Auch dafür, dass die dritten Corona-Impfungen gestaffelt erfolgen, besteht oft kein Verständnis“, berichtet die Frau. Nachts könne sie oft nicht schlafen. Wenn sie frei habe, würde sie Menschen meiden. „Ich denke darüber nach, mich in einem Krankenhaus zu bewerben. Vielleicht kriegt man den ganzen Unmut dort nicht so direkt ab.“ Damit ist sie nicht alleine, erzählt ihre Chefin.
Zustände wie diese sind bei den Hausärzten in Bremerhaven keine Ausnahme: „In meiner Praxis ist es nicht anders als in den Praxen meiner Kollegen. Auch meine Mitarbeiterinnen und ich wundern uns immer wieder über wiederholte Nachfragen wegen Unkonzentriertheit beim Zuhören oder egozentrisches Verhalten den Mitpatienten gegenüber“, berichtet die Obfrau der Hausärzte Dr. Birgit I. Lorenz.
Unmut und Verunsicherung
Forderungen, Drängeln und Türenknallen seien Ausdruck von Unmut und nicht selten eigener Verunsicherung. „Wir versuchen, verständnisvoll zu reagieren. Die vielen Informationen aus verschiedenen Quellen überfordern viele Menschen“, berichtet Lorenz. Der Umgang mit Neuen Medien führe zu einer Informationsüberfrachtung und diese zu Hilflosigkeit, die sogar in Aggressivität münden könne.
Eine teilweise chaotische Informationspolitik seitens der Bundesregierung sei auch ein Grund für Turbulenzen in Praxen, ist sich Hans-Michael Mühlenfeld vom Hausärzteverband Bremen sicher. Hohe Erwartungen, was beispielsweise die Geschwindigkeit der Dritt-Corona-Impfungen anbelange, auf der einen und mittlerweile völlig erschöpfte Medizinische Fachangestellte (MFA) auf der anderen Seite führten zu schwierigen Alltagssituationen: „MFA sind häufig der Prellbock für alles, sie bekommen Unmut der Patienten zuerst ab und erfahren keine Wertschätzung“, so sein Eindruck.