Vermischtes
Tödliche Messerstiche in Aschaffenburg: Warum Kinder?
Halluzinationen von Agenten, Verfolgungswahn, Stimmen im Kopf: Verwirrt, aber entschlossen soll der Messerstecher von Aschaffenburg bei einer Attacke auf Kinder gewesen sein. Doch Ungewissheit bleibt.
Das Motiv konnte nicht abschließend geklärt werden. (Archivbild)
Foto: Karl-Josef Hildenbrand
Der Verteidiger spricht von der „Tat eines Wahnsinnigen“. Nach Worten des psychiatrischen Gutachters sagt der Messerstecher von Aschaffenburg über sich selbst, er habe einen „Teufel im Kopf“ gehabt. Stimmen angeblicher Agenten sollen dem Mann befohlen haben, wehrlose Kinder in einem Park anzugreifen. Warum, das hat auch das Landgericht Aschaffenburg in einem sechstägigen Sicherungsverfahren nicht klären können.
Einig sind sich die Prozessbeteiligten darüber, dass der Täter bei der Attacke am 22. Januar nicht Herr seiner Sinne und damit schuldunfähig war. Daher soll der Mann in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht werden. „Es ist unter keinen Umständen zu verantworten, den Beschuldigten in absehbarer Zeit zu entlassen“, sagt der Vorsitzende Richter der 1. Großen Strafkammer Karsten Krebs, bei der Urteilsbegründung. Der Mann sei eine „tickende Zeitbombe“.
Demnach kommt der afghanische Flüchtling, der zwei Menschen mit einem Küchenmesser getötet und drei Menschen verletzt hat, nicht in ein Gefängnis. Wie lange die Unterbringung des paranoid schizophrenen 28-Jährigen in einer forensischen Psychiatrie nötig sein wird, ist ungewiss. Das Urteil ist rechtskräftig.
Unterbringung unbefristet
Die Unterbringung in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses ist unbefristet, wird aber mindestens jährlich von der Strafvollstreckungskammer überprüft. Vollzugslockerungen wie Hofgang oder Urlaub werden nicht automatisch gewährt, sondern hängen laut Gericht vom Therapieerfolg ab.
Ein kleiner Teil der Patienten ist mit einer Therapie nicht erreichbar. Für diese Menschen gibt es keine Lockerungen. Mit einer Entlassung können die Betroffenen erst rechnen, wenn Gutachter sie als ungefährlich eingestuft haben. „Wir wünschen uns, dass der Beschuldigte dauerhaft weggesperrt bleibt“, sagt eine Nebenklagevertreterin.
Ort der Aussichtslosigkeit
„Bezirkskrankenhäuser sind abgeriegelt wie eine JVA“, erklärt Verteidiger Jürgen Vongries in seinem Plädoyer. Er will Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen, die eine Psychiatrie als Wohlfühlort empfinden. Ein Bezirkskrankenhaus sei ein „trostloser Ort der Aussichtslosigkeit“ - und genau das erwarte jetzt seinen Mandanten.

Der Beschuldigte kann sich nach Worten seines Verteidigers nur diffus an die Tat erinnern. (Archivbild)
Foto: Karl-Josef Hildenbrand
Aus dem Nichts
Es ist der 22. Januar, ein kalter, aber sonniger Tag in der Stadt am Untermain. Zwei Erzieherinnen gehen mit fünf Krippenkindern im Park Schöntal spazieren, als sie einen Mann bemerken, der sich komisch verhält, ihnen folgt. Der Afghane sei auffällig mit einer hellblauen Jacke gekleidet gewesen. „Ich habe mich bedrängt gefühlt, und ich hatte richtig Angst“, berichtet eine Erzieherin.
Wie aus dem Nichts schnappt sich der Täter plötzlich einen 2-jährigen Jungen und sticht auf ihn ein. Dann ist ein gleichaltriges Mädchen dran. Als die Erzieherin (59) eingreifen will, wird sie den Ermittlern zufolge von dem Angreifer zu Boden gestoßen. Zwei mutige Männer, die das Geschrei hören, schreiten ein. Ein 41 Jahre alter Vater bezahlt seine Zivilcourage mit dem Leben. Zudem stirbt der 2-Jährige. Das Mädchen, die Erzieherin und der weitere Helfer (73) überleben verletzt.

Der mutmaßliche Täter ist laut Gutachter schuldunfähig. (Archivbild)
Foto: Daniel Vogl
Als immer mehr Passanten dazukommen, flieht der Beschuldigte, der zu dieser Zeit ausreisepflichtig ist. Er kann dank eifriger Verfolger rasch festgenommen werden. Seine Kleidung ist blutverschmiert.
Auswirkungen bundesweit
Nach der Attacke ist Deutschland in Aufruhr. Die Themen Migration und Sicherheit dominieren im laufenden Bundestagswahlkampf. Mehr Härte fordern insbesondere CDU/CSU sowie AfD. Bei manchen löst die sich verschärfende Debatte jedoch auch Sorgen vor einem Rechtsruck aus - eine Entwicklung, vor der Parteien wie Grüne und Linke warnen.
Krankheit des Beschuldigten bekannt
Das Gericht wertet die Taten - das Urteil erging auch wegen eines Angriffs des Beschuldigten auf seine Freundin im August 2024 - als Mord, versuchten Mord, Totschlag, versuchten Totschlag sowie gefährliche Körperverletzung.
Der 28-Jährige war bereits vor der Tat im Park Schöntal mehrfach wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung polizeilich aufgefallen. Gegen seine psychische Krankheit bekam er Tabletten, die er aber nicht regelmäßig nahm.
Warum der Mann nicht schon vor der Bluttat in Aschaffenburg länger stationär in einer Psychiatrie war, erschließt sich dem Gericht nicht. „Es gab einen ganzen Strauß von Warnsignalen“, sagt der Vorsitzende Richter Krebs. Vieles sei in diesem Fall nicht so verlaufen, „wie es aus medizinischer Sicht nach meiner Auffassung“ geboten gewesen wäre.
Die Wahrscheinlichkeit, dass der 28-Jährige ohne Behandlung in einer Psychiatrie weitere „hochaggressive Taten“ begehen könnte, ist laut dem psychiatrischen Gutachter hoch.
Ungewissheit bleibt
Für Oberstaatsanwalt Jürgen Bundschuh war die Gewalttat ein „Attentat“ auf Zufallsopfer, „das unendliches Leid über die unmittelbar Betroffenen gebracht hat“. „Die Tat hat die ganze Stadt Aschaffenburg mitten ins Herz getroffen.“ Der Angriff sei von „unglaublicher Brutalität und absolutem Vernichtungswillen“ geprägt gewesen. „Dem Beschuldigten ging es rein um die Kinder.“ Warum? „Ich habe (...) darauf keine Antwort gefunden.“

Der Beschuldigte wurde nach der Tat in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. (Archivbild)
Foto: Karl-Josef Hildenbrand