Meinung & Analyse

Merz scheitert: Großes Entsetzen im Bundestag

Alles fängt an diesem Tag der Kanzlerwahl perfekt für Friedrich Merz an - doch dann folgt ein historischer Paukenschlag: Im ersten Wahlgang fällt der CDU-Chef durch. Das Entsetzen bei der Union ist groß. Und auch auf der Ehrentribüne.

Der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) geht vor dem ersten Wahlgang der Kanzlerwahl durch den Plenarsaal.

Friedrich Merz ist im ersten Wahlgang der Kanzlerwahl durchgefallen. Foto: Michael Kappeler

Es ist ein historischer Paukenschlag, den Bundestagspräsidentin Julia Klöckner um 10.05 Uhr verkündet: Friedrich Merz erhält in geheimer Abstimmung nur 310 Ja-Stimmen und damit sechs weniger als die nötige Mehrheit von 316. Der große Traum des Sauerländers, zum zehnten Bundeskanzler gewählt zu werden, ist zunächst geplatzt. Die Fraktionen ziehen sich zur Beratung zurück, drei Wahlgänge sind möglich. Dass aber ein Kandidat durchrasselt, hat es bei einer Kanzlerwahl so noch nie gegeben.

Das Entsetzen ist vielen ins Gesicht geschrieben. Unten im Plenarsaal, oben auf der Ehrentribüne, wo die Ehefrau von Merz, Charlotte, und die zwei Töchter die Ereignisse verfolgen. Was nun? Das bleibt zunächst offen. Die Feierlaune ist aber erst mal dahin.

Dabei beginnt der aufreibende Tag erst einmal wie geplant für Merz. Morgens um halb sieben liegt das Regierungsviertel im Halbschlaf. Es sind noch zweieinhalb Stunden bis zur Kanzlerwahl, der Himmel ist blau, die ersten Sonnenstrahlen tauchen den Reichstag in ein wohliges Licht. Man könnte sagen: Kanzlerwetter, oder besser: Merz-Wetter.

Auch im Bundestag geht es noch gemächlich zu. Das ändert sich gegen acht Uhr, als die Unionsfraktion oben im Reichstag unter der Kuppel zusammenkommt. Zählappell. „Fraktion ist vollzählig da“, sagt der neue Parlamentsgeschäftsführer Steffen Bilger später. 208 an der Zahl. Der Optimismus ist da noch groß.

Merz verspätet sich etwas an diesem historischen Tag. Ein schlechtes Omen? Schon wird unter Vertrauten gewitzelt, er habe heute frei, etwas anderes vor, der Chef sei doch sonst immer so pünktlich. Kurz nach acht verlässt der CDU-Chef den Fahrstuhl am Hintereingang zum Fraktionssaal - möglichst weit weg vom Medientross. Wie ist ihre Gemütslage? „Gut.“ Optimistisch? „Immer“, so Merz kurz und knapp zu unserer Redaktion. Zurückhaltung pur. Seine Wahl hat Merz voll im Fokus. Er wirkt angespannt und konzentriert. Mit Recht, wie sich später herausstellt.

Um 8.45 Uhr kommt bereits Charlotte Merz auf die Besuchertribüne des Bundestages, mit dabei die beiden Töchter. Es wird hinunter in den Plenarsaal gewunken, wo Ehemann Friedrich Merz gerade angekommen ist. Der Sohn, so heißt es, verfolgt die Ereignisse woanders im Reichstag. Er wolle nicht fotografiert werden. Auch die Ehrentribüne füllt sich langsam, DFB-Präsident Bernd Neuendorf ist gekommen, der Raumfahrer Alexander Gerst, ansonsten in die Zahl der politfernen Promis gering. Alles wirkt routiniert.

Kurz vor neun Uhr betritt Angela Merkel die Bühne. Die Frau, die Merz einst politisch geschasst hat, die ihm im Bundestagswahlkampf in die Parade fuhr – beide hatten nie ein gutes Verhältnis. Merkel scheint ihren Frieden mit Merz gemacht zu haben, jetzt, wo er tatsächlich einer ihrer Nachfolger werden könnte. Da ahnt auch sie noch nicht, wass wenig später passiert. Während die Altkanzlerin Hände schüttelt, sieht man Merz unten im vertrauten Gespräch mit seinem Vorgänger Olaf Scholz. Letzte Absprachen, letztes Aufmuntern. Als Merkel übrigens von Bundestagspräsident Julia Klöckner begrüßt wird, applaudieren alle, nur die AfD-Fraktion nicht.

„Ich freue mich über die gute Stimmung im Hause“, sagt Klöckner noch bei der Sitzungseröffnung. Noch ist dem auch so. „Sieht sehr gut gefüllt aus.“ Was auch sonst, es ist Kanzlerwahl. Selbst die, die krank sind, wurden aufgefordert, anwesend zu sein. Merz sitzt in der ersten Reihe, neben ihm der neue Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) und der designierte Innenminister Alexander Dobrindt (CSU). Der Sauerländer trägt einen dunklen Anzug, den Stuhl mit der erhöhten Lehne, den Kanzlerstuhl, da noch fest im Blick.

Nur zwölf Stimmen haben Union und SPD über der notwendigen Kanzlermehrheit von 316 Stimmen. Es zeigt sich, dass das zu knapp sein wird. „Es kann losgehen“, ruft Klöckner um 9.08 Uhr. Der Namensaufruf zur Wahl beginnt. Merz plaudert mit Spahn. Merkel unterhält sich mit der früheren Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, die zuvor in den Plenarsaal gegrüßt hat und dabei fast gestürzt wäre - Merkel hält sie. Als sie nach dem Wahldesaster die Tribüne verlässt, soll Merkel gerufen haben: „Hier geht nichts unter historisch.“

Um 9.21 Uhr wird der Name Friedrich Merz aufgerufen. Er eilt zur Wahlurne, 9.30 Uhr endet der Namensaufruf. Um 10.05 kommt das verheerende Ergebnis für den Sauerländer. Die Sitzung wird unterbrochen, der Beratungsbedarf ist groß. Merz begibt sich aus dem Plenarsaal. Damit hat auch er nicht gerechnet. Jetzt gibt es viel zu besprechen mit seinen Vertrauten - und auch mit SPD-Mann Lars Klingbeil. Merz, das steht fest, geht bereits angeschlagen in seine Kanzlerschaft, wenn er denn Regierungschef wird. Eigentlich sollte es ein perfekter Tag werden. Aus und vorbei.

Hagen Strauß

Autor

Hagen Strauß wurde 1968 in Dortmund geboren und studierte in Münster. Sein Volontariat absolvierte er bei der „Westfälischen Rundschau“. Danach arbeitete er als freier Korrespondent zunächst in Bonn und dann in Berlin für verschiedene Regionalzeitungen. 2001 wechselte Hagen Strauß zur BMS und berichtet und kommentiert heute auch für die NORDSEE-ZEITUNG und NORD|ERLESEN. Als Korrespondent betreut er schwerpunktmäßig die Unionsparteien CDU und CSU, sowie die Innen-, Bildungs- und Verkehrspolitik.

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