Meinung & Analyse

Feuer im Reichstag: Ein Brandbeschleuniger für die NS-Diktatur

Vier Wochen nach Adolf Hitlers Machtübernahme brennt am 27. Februar 1933 in Berlin der Reichstag. Nur wenige Stunden später folgen eine Verhaftungswelle und die Aussetzung von Grundrechten. Was steckt dahinter?

Urteilsverkündung im Reichstagsbrandprozess vor dem Reichsgericht in Leipzig am 23. Dezember 1933. Einer der Angeklagten ist Marinus van der Lubbe (stehend).

Urteilsverkündung im Reichstagsbrandprozess vor dem Reichsgericht in Leipzig am 23. Dezember 1933. Einer der Angeklagten ist Marinus van der Lubbe (stehend). Foto: epd

Kurz nach 21 Uhr an jenem Montagabend alarmiert ein Passant den Polizisten Karl Buwert. Am Reichstag sei ein Klirren zu hören gewesen und es gebe einen „Lichtschein“ im Parlamentsgebäude, sagt der Zeuge. Buwert schaut selbst nach und meint, Menschen mit Fackeln im Haus zu erkennen. Gegen 21.15 Uhr rückt die Feuerwehr an. Um 21.27 Uhr birst das Glasdach des Reichstags und Flammen lodern in den Berliner Nachthimmel. Etwa zeitgleich fasst die Polizei im Gebäude einen jungen Mann mit nacktem Oberkörper als Brandstifter: den Niederländer Marinus van der Lubbe.

Diese dürren Fakten aus den Ermittlungsakten zum Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 sind vielleicht das Einzige, worüber 90 Jahre später weitgehend Konsens herrscht. Klar ist im Rückblick auch, dass dieses Feuer vier Wochen nach der Machtübernahme Adolf Hitlers der werdenden NS-Diktatur in die Hände spielte. Ansonsten bleibt der verworrene Kriminalfall bis heute ein Politikum, über das Historiker streiten - und womöglich für immer ein Rätsel.

Kaum eine Stunde nach dem ersten Hinweis auf das Feuer sind der neue Reichskanzler Hitler, sein Propagandaminister Joseph Goebbels und Reichstagspräsident Hermann Göring vor Ort. Für sie stehen die Schuldigen schon fest. „Dies ist der Beginn des kommunistischen Aufstands, sie werden jetzt ihren Angriff beginnen!“, soll Göring ausgerufen haben. Und Hitler: „Jeder kommunistische Funktionär wird erschossen, wo er angetroffen wird. Die kommunistischen Abgeordneten müssen noch in dieser Nacht aufgehängt werden.“

Verhaftungswelle beginnt schon wenige Stunden nach dem Brand

Tatsächlich hat der vor Ort festgenommene van der Lubbe eine Vorgeschichte in der Jugendorganisation der Kommunistischen Partei Hollands. Nach Angaben der Ermittler bekennt er sich nicht nur zur Tat, sondern auch zu einem politischen Motiv: „Ich wollte den deutschen Arbeitern zeigen, ihnen ein Vorbild geben, es kann auch ein Signal sein; sie sollten dazu angeregt werden, endlich ihre Rechte durchzudrücken“, steht im Vernehmungsprotokoll, das heute im Bundesarchiv lagert.

Allerdings beharrt van der Lubbe darauf, allein gehandelt zu haben. Die Ermittler gehen indes davon aus, dass mehrere Täter beteiligt gewesen sein müssen - passend zur politischen These vom kommunistischen Komplott.

Schon in den Stunden nach dem Brand beginnt eine Verhaftungswelle gegen Kommunisten und Sozialdemokraten. Am nächsten Tag setzt Reichspräsident Paul von Hindenburg mit einer Notverordnung zum „Schutz von Volk und Staat“ die Grundrechte weitgehend außer Kraft, darunter Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit - tiefe Einschnitte kurz vor der für den 5. März angesetzten Reichstagswahl, die Hitlers Machtübernahme festigen soll.

Für den Historiker Martin Sabrow ist der Reichstagsbrand auf dem Weg in die Diktatur „der entscheidende Umschlagpunkt, nach dem es kein Zurück zur Demokratie mehr gab“. Schon vorher hätten Hitler und seine Helfer Pflöcke eingeschlagen, darunter die Umwidmung der Parteitruppe SA zur staatlichen Hilfspolizei. Doch habe der Brand beschleunigend gewirkt. „Ich glaube, dass sie am 27. Februar bereits fest im Sattel saßen, aber sie konnten nun schneller reiten“, sagt Sabrow, Professor an der Humboldt-Universität Berlin und Senior Fellow am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam.

Die Nazis profitierten also von dieser Brandstiftung. Doch ihre These von der kommunistischen Verschwörung konnten sie nie beweisen - der mit angeklagte KPD-Fraktionschef Ernst Torgler sowie die drei bulgarischen Kommunisten Georgi Dimitrow, Wassil Tanew und Blagoj Popow wurden im Prozess Ende 1933 freigesprochen. Nur van der Lubbe wurde verurteilt. Liegt es da nicht nahe anzunehmen, dass alles anders war und die Nationalsozialisten selbst hinter diesem Brandanschlag auf die Demokratie steckten?

Schnell kommen Zweifel an Alleintäter-These auf


Diese These brachten Nazi-Gegner sofort auf, sie stand im Zentrum eines Gegenprozesses in London im Sommer 1933. Seitdem geht es hin und her. Gerade erst hat der Historiker Uwe Soukup dieser Theorie ein neues Buch gewidmet: „Die Brandstiftung“. Seine Kernpunkte: Van der Lubbe könne es nicht allein gewesen sein - dafür seien die Brandherde zu viele und die Zeit zu kurz gewesen; van der Lubbes Darstellung sei unglaubwürdig, unter anderem die Art und Weise des Einstiegs ins Gebäude; während van der Lubbe behauptet habe, nur Kohleanzünder benutzt zu haben, müsse auch flüssiger Brandbeschleuniger im Spiel gewesen sein.

Soukup präsentiert ein Indizienpuzzle dafür, dass die SA am Brand beteiligt gewesen sei, wobei er vieles in Fragen kleidet: „Konnte van der Lubbe von
den Nazis für die Brandstiftung instrumentalisiert werden? Wurde er also von SA-Männern in der Brandnacht zum Reichstag gebracht, um sich hinterher als ‚kommunistischer‘ Täter verurteilen zu lassen?“ Am Ende schreibt Soukup: „Da es aber andere Täter als die Nazis nicht geben kann, unter Zuhilfenahme van der Lubbes aus propagandistischen Gründen, dürfte die Täterschaft der Nazis damit im Grunde feststehen.“

Etliche Historiker widersprechen und neigen trotz allem zur „Alleintäterthese“. Eine Klärung im Nachhinein scheint aussichtslos, weil die ursprünglichen Ermittlungen entscheidende Fragen offen ließen und einige Zeitzeugen rechts wie links eine politische Agenda verfolgten. Van der Lubbe bleibt seinerseits eine rätselhafte Figur.

Nach seinen anfänglichen Geständnissen entzieht sich der Holländer während der Ermittlungen der Mitarbeit - so halten es zumindest die offiziellen Protokolle fest. Im Prozess vor dem Reichsgericht in Leipzig sitzt der einst energische 24-jährige Aktivist tief gebeugt auf der Anklagebank. Er wirkt kaum ansprechbar und debil. Schon wenige Tage nach seinem Todesurteil wird er am 10. Januar 1934 hingerichtet. Die Paul-Bennhof-Gesellschaft zu Leipzig lässt jetzt, 90 Jahre später, seine sterblichen Überreste darauf prüfen, ob sich eine Vergiftung nachweisen lässt. Unter anderem wird nach Spuren von Brom gesucht, die seinen körperlichen und geistigen Verfall erklären könnten. (epd/oer)

Das Reichstagsgebäude wurde in der Nacht auf den 28. Februar 1933 durch Brandstiftung größtenteils zerstört.

Das Reichstagsgebäude wurde in der Nacht auf den 28. Februar 1933 durch Brandstiftung größtenteils zerstört. Foto: epd

Der Reichstag in Flammen. Ob die Nazis daran mitgewirkt haben oder nicht, in die Hände gespielt hat er ihnen in jedem Fall, sagen Historiker.

Der Reichstag in Flammen. Ob die Nazis daran mitgewirkt haben oder nicht, in die Hände gespielt hat er ihnen in jedem Fall, sagen Historiker. Foto: epd

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