Der Jahreswechsel ist traditionell Anlass, optimistisch nach vorne zu blicken. Selten fiel das so schwer wie heute. Denn die Welt ist in Unordnung geraten. Wir erleben Kriege, Kräfteverschiebungen im globalen Ausmaß, den Aufstieg mächtiger autokratischer Staatenlenker, die auf Konflikt und Kampf statt auf Kooperation setzen, begleitet von der Einführung neuer disruptiver Technologien mit unabsehbaren Folgen. Und ganz nebenbei sind wir noch mit Klimawandel und Artensterben konfrontiert, deren Auswirkungen potenziell für die Menschheit am gefährlichsten sein dürften, auch wenn sie derzeit nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen.
Wir werden uns anstrengen müssen
Die Verunsicherung ist in Deutschland in diesen Tagen mit Händen zu greifen. Denn die berechtigte Frage ist ja, wie wir - als Nation und als Individuen – angesichts dieser Herausforderungen unseren Platz finden und bestehen können. Sicher ist: Wir werden uns anstrengen müssen, Dinge anders machen, von anderen lernen. Ja, Deutschland muss sich in gewisser Weise neu erfinden. Denn das, was nur halb im Spaß immer als das deutsche Geschäftsmodell bezeichnet wurde – mit billiger Energie aus Russland teure Autos bauen, diese den Chinesen verkaufen und die eigene Verteidigung den Amerikanern überlassen – ist definitiv an sein Ende gekommen. Die anderen machen einfach nicht mehr mit. Im übrigen ist es ja ohnehin längst nicht mehr so, dass alle Welt voller Ehrfurcht auf die Deutschen schauen würde. Von manchen werden wir als schlicht als Konkurrent wahrgenommen, den es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt. Und manche haben uns, gerade was die Zukunftstechnologien betrifft, bereits deutlich abgehängt.
Der Reformstau hat viele Väter und Mütter
Wer also glaubt, man müsse nur bei der anstehenden Bundestagswahl das Kreuzchen an der richtigen Stelle machen und dann werde sich schon alles richten, der unterschätzt das Ausmaß der Herausforderungen. Denn ob vernachlässigte Infrastruktur, unzureichende Digitalisierung, mangelnde Innovationsfähigkeit, Bildungs- und Pflegenotstand: All das sind strukturelle Probleme, die sich über Jahre und Jahrzehnte aufgebaut haben – und die nicht von einem Tag auf den anderen verschwinden werden. Der Reformstau hat viele Väter und Mütter. Die gute Nachricht ist aber: Für die hierzulande weit verbreitete und mitunter bewusst geschürte Lust am Untergang besteht dennoch kein Anlass. Deutschland hat nach wie vor beste Chancen, die Zukunft zu gewinnen.
Die Feinde Europas sind die Feinde Deutschlands
Voraussetzung dafür ist aber ein endgültiges Ende der naiven Vorstellung, dass es doch eigentlich alle gut mit uns meinen. Die beiden entscheidenden Wirtschaftsmächte auf dem Planeten – XI Jinpings China und Donald Trumps Amerika – werden weiter rücksichtslos die eigenen Interessen verfolgen, gerne auch auf Kosten der Konkurrenz. Und die Militärmacht Russland überzieht Deutschland als Teil des Westens mit Desinformation und Cyberattacken – mit dem Ziel, das bevölkerungs- und wirtschaftsstärkste Land der Europäischen Union zu schwächen. Denn für andere ist glasklar, was hierzulande mitunter vergessen wird. Zum einen, dass Wohlstand und Sicherheit in Deutschland nur im europäischen Rahmen zu haben sind. Nur die EU mit ihren 27 Staaten, so unterschiedlich sie auch sein mögen, hat genug Gewicht, um als drittes Kraftzentrum der Weltwirtschaft bestehen zu können. Die Feinde Europas sind die Feinde Deutschlands, das gilt im Äußeren wie im Inneren.
Rechtsstaat und Stabilität sind Standortfaktoren
Und zum anderen, dass ein funktionierender Rechtsstaat und politische, wirtschaftliche, soziale Stabilität für Deutschland entscheidende Standortfaktoren sind. Wer - aus welchen Motiven auch immer - daran mitarbeitet, sie zu unterminieren, wer die Institutionen unserer Demokratie verächtlich macht, wer Hass sät und Gewalt billigt, wer die Menschen gegeneinander aufhetzt, kurz wer die Werte des Grundgesetzes mit Füßen tritt, der macht das Geschäft all jener, die es schlecht mit unserem Land meinen.
An fehlender Kompromissfähigkeit gescheitert
Wobei Stabilität natürlich nicht mit Stillstand zu verwechseln ist und heißen soll, dass sich nichts ändern dürfe. Und auch nicht, dass über den richtigen Weg – zumal im Wahlkampf – nicht hart und leidenschaftlich gestritten werden muss. Am Ende aber braucht es eine Fähigkeit, die schon in der Konstruktion unseres föderalen Staatswesens angelegt ist: die Bereitschaft zum Kompromiss. Am Fehlen eben dieser Bereitschaft ist die Ampel-Regierung gescheitert – und hat damit Deutschland einen Bärendienst erwiesen. Die nächste Bundesregierung, in der mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder Partner mit sehr unterschiedlichen Grundüberzeugungen zusammenkommen werden, ist in der Pflicht, es zum Wohle des Landes besser zu machen. Für sie und die Deutschen insgesamt gilt im Jahre 2025, ein wenig Pathos sei erlaubt, mehr denn je: Nicht Spaltung, Willkür und Autoritarismus, sondern Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand.