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Gefahrstoffaustritt im Unternehmen und zuhause – Was jetzt?

Gefahrstoffunfälle gehören zu denjenigen Dingen, die unter allen Umständen verhindert werden sollten. Bloß ist ein gewisses Restrisiko selbst mit den besten Sicherheitsmaßnahmen unvermeidlich. Umso wichtiger ist es, im Fall der Fälle rasch und richtig zu handeln.

Gefahrstoff auf dem Boden

Ausgetretene Gefahrstoffe können ein enormes Risiko bedeuten. Besonders wichtig ist es daher, die Situation keinesfalls achselzuckend zu akzeptieren – sondern rasch zu handeln. Foto: stock.adobe.com © Savelight Studio

Gefahrstoffe: Ein oft verkanntes Spektrum

Es gibt zahlreiche Ursachen für einen Gefahrstoffaustritt und unterschiedlichste Dinge, die anschließend zu tun und zu unterlassen sind. Wie sich jedoch in der Vergangenheit immer wieder zeigte, existiert eine Grundproblematik: Unkenntnis, oft gepaart mit einer ungesunden Portion Desinteresse, mitunter sogar Ignoranz.

Diese Dinge sind häufig mitverantwortlich für einen Austritt. Ebenso tragen sie oft eine Teilschuld, dass zumindest nicht so rasch gehandelt wird, wie es notwendig ist. Das ist insbesondere im privaten Bereich der Fall. Denn wo es in Unternehmen aufgrund zahlreicher Gesetze und Normen eine „Wissenspflicht“ gibt, sind sich viele Privatpersonen oft nicht einmal bewusst, überhaupt mit einem Gefahrstoff zu hantieren – wodurch eine besonders gefahrvolle Brisanz entstehen kann.

Wer sich an dieser Stelle zweifelnd fragt, mit welchen Gefahrstoffen er im beruflichen Umfeld oder zuhause überhaupt in Kontakt kommt, der zeigt bereits diese Problematik. Denn Gefahrstoffe sind ein überaus komplexes, vielfältiges Themengebiet, wie es ein Ratgeber des Anbieters SETON erläutert. Darunter fallen beileibe nicht nur selbst für Laien offensichtliche Dinge wie etwa hochentzündliches Benzin oder ätzende Säuren. Vielmehr sprechen wir von insgesamt mehreren tausend unterschiedlichen Stoffen aus vier distinktiven Kategorien:

  • Chemische Gefahrstoffe: Sie sind in Anzahl und Gefahren besonders vielfältig. Die Risiken umfassen Dinge wie Brennbarkeit, Explosivität, Toxizität, dazu ätzende Wirkungen, Schädigung des Erbguts oder Auswirkungen auf die Umwelt. Besonders brisant: Verschiedene chemische Gefahrstoffe können auf mehrere Arten gleichermaßen schädigend wirken.
  • Biologische Gefahrstoffe: Hierunter fallen verschiedene Stoffe natürlichen Ursprungs; insbesondere Bakterien, Gifte, Parasiten, Pilze und Viren. Ihre Wirkung ist mehrheitlich auf das Auslösen von Krankheiten bei Mensch und Tier beschränkt – wobei sie allerdings durchaus tödlich sein können.
  • Radiologische Gefahrstoffe: Ihre Gefahren entstehen durch die komplexen Wirkungen ionisierender Strahlung, also Radioaktivität. Diese wirkt primär zell- und erbgutschädigend. Je nach Art und Intensität der Strahlung können deshalb akute sowie langfristige Gefahren drohen.
  • Nukleare Gefahrstoffe: Hierbei sind, im Gegensatz zu radiologischen Gefahrstoffen, stets nukleare Kettenreaktionen beteiligt. Dadurch besteht ein erheblich größeres Schadpotenzial durch starke Strahlung, das Entstehen neuer gefährlicher Elemente bzw. Isotope – und mitunter hochenergetische Detonationen.

Zusammen ergibt das die sogenannten CBRN-Gefahrstoffe. Aufgrund der engen „Verwandtschaft“ werden radiologische und nukleare Gefahrstoffe teilweise zu einer Gruppe zusammengefasst.

Die Problematik: Sehr viele Gefahrstoffe sind nicht allzu offensichtlich. Das gilt zwar vor allem im privaten Bereich (sprich, bei Laien), kann jedoch ebenso Unternehmen betreffen. Das kann das Risiko für einen irrtümlichen Austritt gleichermaßen erhöhen wie die Gefahr, nicht schnell und richtig gegenzusteuern.

Geringe Menge Gefahrstoff auf dem Boden

Auch vermeintlich geringfügige Austritte erfordern eine konsequente Antwort. Bei vielen Gefahrstoffen ist die Menge unterheblich für die Bedrohung. Foto: Foto: stock.adobe.com © ??????? ?????

Restrisiko: Die Grenze selbst strengster Sicherheitsmaßnahmen

Es ist eine simple Logik: Wer keine Gefahrstoffe nutzt, unterliegt keinerlei Risiken für einen Gefahrstoffaustritt. So einleuchtend diese Denkweise sein mag, sie scheitert an der Realität.

Denn wir leben in einer zutiefst technisierten Welt. In ihr sind zahlreiche Gefahrstoffe schlichtweg zwingend erforderlich, weil ihre Eigenschaften aus irgendwelchen Gründen benötigt werden.

Erneut sei auf das breitbekannte Beispiel Benzin verwiesen. Das Erdölderivat weist gleich mehrere Gefahren auf:

  • Flüssigkeit und Dämpfe sind extrem entzündbar.
  • Verursacht Haut- und Augenreizungen.
  • Kann Gendefekte verursachen.
  • Kann Krebs erzeugen.
  • Kann Föten im Mutterleib schädigen.
  • Kann bei Verschlucken und Eindringen in die Atemwege tödlich sein.
  • Kann Schläfrigkeit und Benommenheit verursachen.
  • Besitzt eine langfristige giftige Wirkung für Wasserorganismen.

Angesichts seiner hohen Energiedichte samt der leichten Entzündbarkeit ist Benzin aber ein unverzichtbarer Kraftstoff. Andere Benzine, deren Gefahren ähnlich gelagert sind, werden in noch weiteren Bereichen benötigt. Etwa sogenanntes Testbenzin, ein bedeutendes Lösungs-, Reinigungs- und Entfettungsmittel.

Dieses Beispiel zeigt eines auf: Gefahrstoffaustritte lassen sich vielfach nicht unterbinden, indem man den betreffenden Gefahrstoff nicht nutzt, respektive auf Alternativen zurückgreift. Das gilt in Unternehmen wie im Haushalt.

Möglich ist nur eine Minimierung der Austrittsrisiken. Das bedeutet primär einen in jeder Hinsicht sachgemäßen Umgang damit, wie er unter anderem durch das Gefahrstoffdatenblatt vorgegeben wird.

Im Fall von Benzin bedeutet das:

  • Nicht in die Hände von Kindern gelangen lassen.
  • Freisetzung in die Umwelt vermeiden.
  • An einem gut belüfteten Ort aufbewahren.
  • Behälter dicht verschlossen halten.

Hinzu kommen weitere Vorgaben. Darunter insbesondere die Maßgabe, ausschließlich für Benzin freigegebene Behältnisse zu verwenden. Diese sind an einer entsprechenden Kennzeichnung zu erkennen.

Allerdings kann das Einhalten aller Vorschriften (ungeachtet des Gefahrstoffs) die Risiken für einen Austritt stets nur auf ein geringes Maß reduzieren. Es verbleibt absolut immer ein Restrisiko. In seinem Rahmen können beispielsweise durch unvorhersehbare technische Defekte, Fehlverhalten Dritter oder „höhere Gewalt“ dennoch Freisetzungen möglich werden. Daraus ergeht eine wichtige Regel:

Gefahrstoffaustritte sind durch Kennen und Beherzigen der gültigen Regeln so unwahrscheinlich wie möglich zu machen. Da sich aber ein Restrisiko niemals völlig ausschließen lässt, ist es genau so wichtig, sich auf Gefahrstoffaustritte vorzubereiten und dann schnell und richtig zu handeln.

Flasche mit Chloroform

Verbraucher können sich darauf verlassen, alle relevanten Gefahrstoff-Informationen auf Endverbraucherverpackungen zu finden. Allerdings ist es nötig, sie auch zu verinnerlichen Foto: Foto: stock.adobe.com © Artur Wnorowski

Verhalten bei Gefahrstoffaustritt 1: Vorbereitung ist der Schlüssel

Vier elementare Grundsätze:

  • Jeder Gefahrstoffaustritt, selbst bei geringsten Mengen, bedeutet eine sehr reale akute oder langfristige Gefahr, die niemand unterschätzen sollte.
  • Je nach Menge des Austritts und Grad der Gefährdung werden alle Beteiligten hektisch reagieren, mitunter konfus. Es bleibt keine Zeit, jetzt erst Lösungen zu finden.
  • Häufig stehen Gefahrstoffaustritte im Zusammenhang mit anderen Unfällen/Zwischenfällen. Das kann die Konfusion weiter verstärken.
  • Niemand möchte einen Austritt erleben. Aufgrund des Restrisikos ist er jedoch überall statistisch wahrscheinlich. Dabei steigt die Wahrscheinlichkeit mit dem Zeitfaktor.

All das sollte im Betrieb und zuhause eines auslösen: einen gesunden Realismus. Egal ob es der kleine Kanister des Rasenmähers ist oder ein riesiger Tank voll Schwefelwasserstoff – passieren kann immer etwas.

Vorbereitung ist unter diesen Aspekten ein unverzichtbarer Schlüssel. Denn sie sorgt dafür, im Fall der Fälle schnell und korrekt zu handeln, wie es Art und Ausmaß des Gefahrstoffaustritts verlangen. Trotz der extremen Vielfalt von Gefahrstoffen gibt es dabei einige übergreifende Dinge, die jeder tun kann.

  • Informieren: Dieser Punkt ist vor allem in Privathaushalten besonders wichtig. In Betrieben müssen Mitarbeiter aufgrund der Unfallverhütungsvorschriften umfassend geschult werden. Zuhause kommt es hingegen auf Eigeninitiative an. Das bedeutet insbesondere, sich die auf allen Gefahrstoffbehältern vorhandenen Informationen durchzulesen und zu memorieren. Das gilt für die Flasche mit Haushaltsreiniger wie für die Dose Wandfarbe und alles andere.
  • Bevorraten: Damit sind alle Dinge gemeint, die bei einem Gefahrstoffaustritt helfen, den Stoff an einer weiteren Ausbreitung zu hindern und seine negativen Effekte zu reduzieren. Zwar kommt es dabei stark auf den jeweiligen Gefahrstoff an, jedoch bieten bereits Basis-Elemente wie Gummihandschuhe, dichtschließende Behälter sowie ein saugfähiges Granulat (etwa Ölbindemittel oder Katzenstreu) eine hervorragende Ausgangsbasis.

Wichtig ist, dass diese Informationen jeder potenziell involvierten Person zur Verfügung stehen. Beispielsweise sollte jedes Haushaltsmitglied wissen, wo genau sich das Binde-Granulat befindet.

Verhalten bei Gefahrstoffaustritt 2: Richtiges Handeln im Fall der Fälle

Die Hintergründe eines Gefahrstoffaustritts mögen extrem vielfältig sein. Immer erfolgt der Austritt aber trotz aller Vorbereitung unerwartet. In einer solchen Lage geht es daher darum, die Gefahr korrekt einzuschätzen, ihre Ausbreitung zu minimieren und wichtige Güter zu schützen – allen voran Menschen- und Tierleben gefolgt von Sachwerten.

Dafür bietet insbesondere die DIN EN ISO 14001 eine hervorragende Ausgangsbasis. Angelehnt an ihre Vorgaben lässt sich eine für jeden Gefahrstoffaustritt passende Abfolge von Handlungen auflisten:

  • Warnen und beurteilen: Das bedeutet, andere in der Nähe über den Austritt in Kenntnis setzen und versuchen, die Art des Schadstoffs, die bereits ausgetretene und potenziell weiter austretende Menge zu taxieren. Gegebenenfalls (besonders im unternehmerischen Umfeld) kann es erforderlich sein, den Unfallort zu markieren oder abzusperren. Falls es im Haushalt Kinder oder Tiere gibt, sind diese weiträumig fernzuhalten.
  • Eigenschutz betreiben: Im ersten Schritt sollte eventuell auf Haut oder Kleidung befindlicher Schadstoff entfernt werden; das gilt auch für Dritte, die damit in Kontakt kamen. Anschließend ist es nötig, für das weitere Vorgehen passende Schutzausrüstung anzulegen – etwa Schutzbrille, Handschuhe etc. Wichtig: Fremd- und Eigenschutz hat grundsätzlich Vorrang vor der Bekämpfung.
  • Austritt stoppen und Ausbreitung eindämmen: Dabei gilt stets die Grundregel „Erst die Quelle für den Austritt beseitigen und anschließend die Verbreitung bekämpfen“. Sofern es möglich ist, sollte der Fokus daher zunächst dem Austrittsherd gelten, bevor man sich den bereits ausgetretenen Gefahrstoffmengen widmet.
  • Ausgetretenen Gefahrstoff aufnehmen: An diesem Punkt ist die Quelle geschlossen und der Stoff kann sich nicht weiter ausbreiten. Nachdem diese Grund-Sicherheit hergestellt wurde, ist es jetzt nötig, die ausgetretenen Stoffe zu beseitigen bzw. aufzunehmen.
  • Reinigen bzw. dekontaminieren: Insbesondere bei feinpulverigen, flüssigen, dampf- sowie gasförmigen Gefahrstoffen kann das Aufnehmen allein die Gefahren mitunter nicht ganz beseitigen. Daher ist es anschließend nötig, durch sorgfältiges Belüften und den Einsatz passender Reiniger, Neutralisierungsmittel usw. sämtliche verbliebenen Schadstoffreste zu beseitigen – zumindest aber deren schädliche Wirkung aufzuheben.
  • Entsorgen oder säubern: Wenn der Austritt restlos beseitigt ist, ist es Zeit, alle aufgenommenen Reste des Gefahrstoffs sowie sämtliche Dinge, die damit in Kontakt kamen, korrekt zu behandeln. Bindemittel und andere Einwegprodukte werden dazu in passenden Behältern zwischengelagert, bevor sie einer fachgerechten Entsorgung zugeführt werden. Bei mehrfach nutzbaren Elementen (etwa Schutzbrillen) muss eine gründliche Reinigung erfolgen – wobei dabei entfernter Gefahrstoff ebenfalls zu entsorgen ist.

Hierzu sei darauf hingewiesen, dass es in einem betrieblichen Umfeld mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit nötig ist, höherstehende Stellen bereits im Rahmen des ersten genannten Punkts zu informieren. Das sind beispielsweise Vorgesetzte oder der zuständige Sicherheitsbeauftragte.

Wichtig ist außerdem, immer die eigenen Möglichkeiten realistisch einzuschätzen. Längst nicht alle Gefahrstoffaustritte lassen sich in Eigenregie eindämmen und beheben. Im Zweifelsfall sollten deshalb Experten wie die Feuerwehr hinzugezogen werden – insbesondere dann, wenn der Gefahrstoffaustritt das Potenzial hat, weit über das Unternehmen bzw. das eigene Zuhause hinaus zu wirken.

Saugfähiges Granulat für die Aufnahme flüssiger Gefahrstoffe wird auf den Boden verteilt

Saugfähiges Granulat ist eine große Hilfe zur Aufnahme flüssiger Gefahrstoffe. Auch Privathaushalte sollten davon stets einen Vorrat haben – zur Not tut es Katzenstreu. Foto: Foto: stock.adobe.com © ftfoxfoto

Verhalten bei Gefahrstoffaustritt 3: Jeder Vorfall ist eine Zäsur

Gemäß der Wahrscheinlichkeiten gilt stets „Nach dem Gefahrstoffaustritt ist vor dem Gefahrstoffaustritt“. Das heißt, nur, weil etwas passierte, ist die Gefahr für einen erneuten Unfall keineswegs gebannt. Angesichts dessen sollte jeder Austritt als „Zäsur“ angesehen werden, der man mit folgenden Fragen begegnet:

  • Welche Umstände führten zu dem Gefahrstoffaustritt?
  • Wie gut oder schlecht erwiesen sich die Vorbereitungen und Gegenmaßnahmen? Würde/Sollte man in der gleichen Situation nochmals genau so handeln?
  • Was müsste verbessert werden, um einen erneuten Austritt dieser Art unwahrscheinlicher zu machen?
  • Wie verhält es sich mit Wahrscheinlichkeiten für andere Austritte im Lichte dieses Vorfalls? Gibt es hier ebenfalls etwas zu optimieren?
  • Was gäbe es rund um die Bekämpfung eines weiteren Austritts zu verbessern?

Ein ungeplanter Austritt von Schadstoffen ist zweifellos schlecht. Noch schlechter wäre es allerdings, daraus keinerlei Lehren zu ziehen, sondern wie gehabt weiterzumachen. Übrigens gilt diese Art der „Manöverkritik“ beileibe nicht nur in einem unternehmerischen Umfeld. Auch Privatpersonen sollten so verfahren.

Bitte bei dieser Gelegenheit nicht vergessen, möglichst zeitnah bei der Bekämpfung des Austritts verbrauchte Materialien zu ergänzen.

Zusammengefasst

Egal ob es zuhause eine umgekippte Flasche aggressiver Abflussreiniger ist oder in einer Firma ein großes Leck in einem Dieseltank: Gefahrstoffaustritte können überall geschehen, haben vielfältige Hintergründe und können multiple Gefahren heraufbeschwören.

Daher ist es wichtig, niemals nach der Vogelstrauß-Taktik zu verfahren. Wo Gefahrstoffe vorhanden sind, kann immer etwas passieren. Hundertprozentige Sicherheit ist selbst mit den besten Maßnahmen nicht erzielbar.

Umso bedeutender ist es, sich deshalb auf solche Situationen umfassend vorzubereiten. Denn obwohl das Restrisiko unabwendbar ist, hängen die potenziellen Auswirkungen entscheidend von Schnelligkeit und Passgenauigkeit der eigeleiteten Maßnahmen ab. Es kommt daher auf jeden Einzelnen an, ob der Austritt zwar ärgerlich, aber glimpflich ablief oder weitläufige Probleme verursachte.

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