Panorama
Internationale Forscher untersuchen Schädelsammlungen
Tausende Raubgüter aus der europäischen Kolonialzeit schlummern in deutschen Museen und Universitäts-Sammlungen. Die Uni Göttingen will zwei Sammlungen mit Schädeln zurückführen. Aber: Bei vielen Gebeinen ist die Herkunft nicht so leicht zu bestimmen.
Ein Forscherteam aus Göttingen und dem Ausland untersuchen über 1000 menschliche Überreste auf ihre koloniale Vergangenheit. Bei den auf Englisch „human remains“ genannten Gebeinen handelt es sich hauptsächlich um Schädel aus Asien und Ozeanien, die meist illegal in der Kolonialzeit nach Europa gelangten. Ziel des Forschungsprojektes „Sensible Provenienzen“ sei es, die Gebeine wieder in ihre Herkunftsländer zu bringen, sagte Projektmitarbeiter Jonatan Kurzwelly.
Bereits seit Sommer 2020 forschen die internationalen Forscherinnen und Forscher an den Gebeinen. Vier Forscher sind dauerhaft an dem bis Sommer 2023 durch die Volkswagen-Stiftung geförderten Projekt beteiligt. Insgesamt arbeiten rund 20 Wissenschaftler aus der ganzen Welt an dem Projekt mit.
Die Universität Göttingen sei bereit sämtliche „human remains“ an die Herkunftsländer zurück zu geben, sagte Projektmitarbeiter Holger Stoecker. Nicht nur sei es ethisch richtig, die oftmals gestohlenen Schädel zurückzugeben. „Ihr wissenschaftliches Potenzial ist auch minimal, weil sie nicht repräsentativ sind“, betonte Kurzwelly. Zudem habe die Uni Göttingen die Forschung und Lehre mit den menschlichen Überresten aus kolonialen Zusammenhängen ohnehin verboten.
Seit Beginn des Forschungsprojektes wurden bereits menschliche Überreste an Hawaii übergeben. Weitere Rückgaben an Australien und Neuseeland seien geplant. Zudem sei eine Konferenz in Tansania in Vorbereitung, um Verbindungen mit weiteren Herkunftsländern zu knüpfen, erklärte Kurzwelly.
Die Aufgabe der Forscher besteht darin, genau herauszufinden, woher die einzelnen Gebeine stammen, die Teil der Blumenbachschen Schädelsammlung und der anthropologischen Sammlung der Universität Göttingen sind. Denn: Nicht immer sei die Herkunft gut dokumentiert. „Das Ziel ist es die richtigen Schädel in die richtigen Länder zurück zu geben“, sagte der Chef des Rückführungsprogramms von Neuseeland, Te Herekiekie Herewini.
In vielen Fällen sei die Spurensuche alles andere als einfach: Häufig verliere sich die Spur bei historischen Handelsunternehmen. Diese hätten die Gebeine oft weiterverkauft, die Forscher zuvor aus den Herkunftsländern und teilweise heiligen Stätten für die Rassenforschung gestohlen hätten, erklärte Kurzwelly. Die meisten Gebeine stammten aus dem späten 18. Jahrhundert oder davor.
Anhand von alten Kaufbelegen oder Hinweisen in Dokumentationsunterlagen, versuchen die Wissenschaftler die Herkunft der „human remains“ zu rekonstruieren, erklärte Projektmitarbeiter Stoecker. Die Forscher aus den verschiedenen Herkunftsländern würden dabei unter anderem mit ihrem Wissen über indigene Bevölkerungsgruppen helfen, erklärte Tarisi Vunidilo von der Universität von Hawaii. Ein Problem bei der Arbeit sei, dass durch die zwei Weltkriege viele Dokumente zerstört worden seien, erklärte Herewini aus Neuseeland. Er kümmert sich um die Rückführung von weltweit über 1000 gestohlenen Gebeinen nach Neuseeland.
Die Arbeit des Forschungsprojektes sei für sein Land immens wichtig, sagte Herewini. Kulturwissenschaftlerin Vunidilo aus Hawaii lobte zudem das Engagement in Deutschland für Rückführungen. Nicht jedes Land sei so offen und gehe das Thema von sich aus an. Großbritannien sei etwa deutlich zurückhaltender bei der Rückgabe von kolonialen Raubgütern.
In Deutschland wird seit einigen Jahren kontrovers über die Rückführung von Raubgütern aus der Kolonialzeit debattiert. Dabei geht es häufig um wertvolle Kunstgegenstände, wie die Benin-Bronzen. Viele von ihnen werden nun im Laufe des Jahres an Nigeria zurückgegeben, andere bleiben als Leihgaben in Deutschland. Bei der Aufarbeitung der Kolonialzeit bestehe noch ein „irrsinniger“ Forschungsbedarf, sagte der Leiter des Städtischen Museums Braunschweig, Peter Joch, vor kurzem bei einer Anhörung im Bundestag.
Die Herkunftsländer selbst gehen ganz unterschiedlich mit den „human remains“ um. Australien oder Neuseeland seien beispielsweise sehr engagiert darin, ihre Gebeine zurückzuholen, erklärte Vunidilo. Andere wie etwa der Inselstaat Palau im Pazifik haben erst durch das Göttinger Projekt von den gestohlenen Gebeinen erfahren.
Für die Rückführung stellen die Herkunftsländer für gewöhnlich eine Anfrage an die Universität. Oft sind auch die Botschaften der Länder mit eingebunden. Zurück in ihrem Herkunftsland werden die Gebeine oft feierlich in Empfang genommen. „Das sind schließlich unsere Vorfahren“, sagte Kulturwissenschaftlerin Vunidilo aus Hawaii - „sie verdienen es nach Hause zu kommen“.