Deutschland & Welt

Club of Rome: Dieser Report gibt der Menschheit eine Chance

Vor 50 Jahren erschütterte der Club of Rome mit dem Report „Die Grenzen des Wachstums“ die Fortschrittsgläubigkeit der Welt. Nun präsentiert der Thinktank erneut einen Bericht. Es geht um Maßnahmen für eine lebenswerte Zukunft der Menschheit.

Mit seinem neuen Report „Earth All“ wirbt der „club of Rome“ für Maßnahmen, um eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen.

Mit seinem neuen Report „Earth All“ wirbt der „club of Rome“ für Maßnahmen, um eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen. Foto: picture alliance/dpa

Vor 50 Jahren rüttelte der Thinktank Club of Rome mit seinem Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ die Welt auf. Sie gilt heute als einflussreichste Publikation zur drohenden Überlastung unseres Planeten. Wenn sich die globale Wirtschaftsweise nicht ändere, brächen Ökonomie, Umwelt und Lebensqualität zusammen, warnte die Forschergruppe - und stieß bis heute nachwirkende Debatten an. Nun gibt es einen neuen Bericht, der am Dienstag in deutscher Fassung erschienen ist. In „Earth for All“ geht es um nichts weniger als die wichtigsten Maßnahmen, mit denen eine lebenswerte Zukunft der Menschheit noch möglich wäre.

Es ist noch nicht zu spät - das vermittelt der Bericht, Ergebnis einer zweijährigen Forschungszusammenarbeit vieler Fachleute, sehr eindringlich. Seine Beschreibungen sind anschaulich, die vorgeschlagenen Lösungen gut nachvollziehbar und oft sehr konkret. Es sind große Ziele, die die Expertinnen und Experten für unverzichtbar halten - unmöglich zu erreichen aber sind sie nicht, wie die Gruppe an Beispielen für schnellen Wandel verdeutlicht. Wir können die Kurve noch kriegen, das wird auf mitreißende und optimistische Art vermittelt.

Zulkunftt hängt von fünf außerordentlichen Kehrtwenden ab

Auch in „Earth for All“ spielen Daten zum Zustand der Erde eine Rolle, vor allem aber geht es darum, was konkret getan werden muss, um das Steuer menschlicher Entwicklung noch zum Positiven herumzureißen. „Dies ist ein Buch über unsere Zukunft – die kollektive Zukunft der Menschheit in diesem Jahrhundert, um genau zu sein“, erläutern die mehr als 30 Autorinnen und Autoren. Diese hänge vor allem von „fünf außerordentlichen Kehrtwenden“ ab, die in den kommenden Jahrzehnten vollzogen werden müssten: Beendigung der Armut, Beseitigung der eklatanten Ungleichheit, Ermächtigung (Empowerment) der Frauen, Aufbau eines fu¨r Menschen und Ökosysteme gesunden Nahrungsmittelsystems und Übergang zum Einsatz sauberer Energie.

Hauptautoren des Berichts sind - neben zahlreichen weiteren Beteiligten - Sandrine Dixson-Declève, die Ko-Präsidentin des Club of Rome, die Entwicklungsökonomin Jayati Ghosh von der Universität von Massachusetts, der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Erdsystemwissenschaftler Johan Rockström, der Umweltpsychologe Per Espen Stoknes von der BI Norwegian Business School, der Nachhaltigkeitsanalyst und Autor Owen Gaffney sowie Jørgen Randers, ehemaliger Professor für Klimastrategie an der BI Norwegian Business School.

Für den Bericht nutzten sie eine Computersimulation, das „Earth4All“-Modell. Unter einer Vielzahl möglicher Szenarien wurden für das Buch zwei ausgewählt, genannt „Too Little Too Late“ (Zu wenig zu spät) und „Giant Leap“ (Riesensprung). „Too Little Too Late“ zeige, was passieren könnte, wenn das derzeit dominierende Wirtschaftssystem mehr oder weniger so weiterläuft wie in den letzten 50 Jahren. „Demgegenu¨ber fragt "Giant Leap", was passierte, wenn das Wirtschaftssystem durch mutige, außerordentliche Bemühungen zum Aufbau einer resilienteren Zivilisation umgestaltet wu¨rde.“

Wachsende Ungleichheit bei aktuellem Kurs

Werde der derzeitige politische und ökonomische Kurs beibehalten, steuere die Menschheit auf eine weiter wachsende Ungleichheit zu, warnen die Expertinnen und Experten. Soziale Spannungen seien eine Folge. Zudem untergrabe Ungleichheit Vertrauen und erschwere es demokratischen Gesellschaften, langfristige kollektive Entscheidungen zu treffen, die allen zugutekommen und entsprechend von allen akzeptiert werden können. Die globale Durchschnittstemperatur werde in diesem Fall um weit u¨ber zwei Grad steigen, weit über die im Pariser Klimaabkommen ausgehandelte und von der Wissenschaft als rote Linie gesetzte Grenze, die keinesfalls überschritten werden darf. Weite Teile des Erdsystems drohten klimatische und ökologische Kipppunkte zu überschreiten - mit unabwendbaren Folgen über Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende.

Immer wieder betonen die Expertinnen und Experten, dass sie mehr Gleichheit und Gerechtigkeit als Königsweg für eine lebenswerte Zukunft ansehen. „Wir wissen, dass die reichste Milliarde Menschen 72 Prozent der globalen Ressourcen verbrauchen, während es bei den ärmsten 1,2 Milliarden nur 1 Prozent sind“, heißt es im Buch. «Die meisten natu¨rlichen Ressourcen fließen also in den Konsum der reichsten Gesellschaften, die allerdings nur einen Bruchteil der Konsequenzen tragen – eine zutiefst ungerechte Situation.“ Ein extremes Maß an Ungleichheit sei äußerst destruktiv, „auch fu¨r die Reichen“, so die Warnung. „Es begu¨nstigt Verhältnisse, die fu¨r alle gefährlich sind.“

Konkrete Beispiele veranschaulichen die Probleme

Viele der im Buch präsentierten Vorschläge sind sehr konkret. Als ein Mindestziel für die Kehrtwende für mehr Gleichheit wird bei den Einkommen zum Beispiel angegeben, dass die reichsten 10 Prozent eines Landes über weniger als 40 Prozent des Nationaleinkommens verfügen sollten. „Das heißt, dass vier arme Personen gemeinsam das gleiche Jahreseinkommen haben wie eine Person aus der Gruppe der reichsten 10 Prozent.“

Anschaulich gemacht werden die potenziellen Entwicklungen der kommenden Jahrzehnte auch am fiktiven Schicksal von vier 2020 geborenen Mädchen aus China,

Der Club of Rome, vertreten durch Jorgen Randers (l-r), Co-Autor "Grenzen des Wachstums", Johan Rockström, Direktor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung, Sandrine Dixson-Declève, Ko-Präsidentin des Club of Rome, und Per Espen Stoknes, Norwegian Business School, stellt vor der Bundespressekonferenz den neuen Bericht "Earth For All" zu konkreten Wegen aus der Klimakrise vor.

Der Club of Rome, vertreten durch Jorgen Randers (l-r), Co-Autor "Grenzen des Wachstums", Johan Rockström, Direktor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung, Sandrine Dixson-Declève, Ko-Präsidentin des Club of Rome, und Per Espen Stoknes, Norwegian Business School, stellt vor der Bundespressekonferenz den neuen Bericht "Earth For All" zu konkreten Wegen aus der Klimakrise vor. Foto: dpa

den USA, Bangladesch und Nigeria. In dem Kapitel spielt ein Faktor eine große Rolle, den die Experten ebenfalls für sehr wichtig halten: Bildung, die kritisches Denken und komplexes Systemdenken vermittle, für Mädchen gleichermaßen wie für Jungen. „Denn die bedeutendste Herausforderung unserer Tage ist nicht der Klimawandel, der Verlust an Biodiversität oder Pandemien“, so die Gruppe. „Das bedeutendste Problem ist unsere kollektive Unfähigkeit, zwischen Fakten und Fiktion zu unterscheiden.“

In demokratischen Gesellschaften seien Fehl- und Falschinformationen zumindest bis zu einem gewissen Grad durch die Massenmedien eingedämmt worden. „Die sozialen Medien aber haben dieses Modell zertrümmert. Sie haben eine ganze Industrie der Falsch- und Desinformationen entstehen lassen, was der Polarisierung von Gesellschaften und einem Vertrauensverlust Vorschub leistet und dazu beiträgt, dass wir angesichts der kollektiven Herausforderungen unfähig sind, zusammenzuarbeiten oder uns auch nur u¨ber Grundtatsachen zu verständigen.“

Leben auf dem „Planeten der Hühner“

Im Kapitel zum nötigen Wandel des Ernährungs- und Agrarsystems heißt es, dass derzeit mehr als 821 Millionen Menschen unterernährt sind - und «erstaunliche zwei Milliarden Menschen» übergewichtig oder adipös. Der Masse nach sind demnach inzwischen 96 Prozent der Säugetiere auf der Erde entweder Menschen (36 Prozent) oder Vieh (60 Prozent) - und lediglich noch 4 Prozent wildlebende Säugetiere. Bei den Vögeln entfallen der Masse nach etwa 70 Prozent auf Zuchtgeflu¨gel. „Wir leben auf einem Planeten der Hu¨hner.“

Zu den Herausforderungen bei der Transformation des globalen Energiesystems ist zu lesen, dass diese mit geringerem Konsum einhergehen müsse - nötig seien etwa auch weniger und kleinere Autos. Eine weitere Herausforderung sei die «sehr reale Gefahr» einer gesellschaftlichen Destabilisierung im Zuge der Umgestaltung des Energiesystems. „Wenn die ärmste Mehrheit von den steigenden Energiekosten am stärksten betroffen ist, werden diese Menschen gegen die Energiepolitik protestieren.“

Als einer der Mythen im Bereich der Energiewende wird genannt, dass das Verhalten von Menschen sich nur schwer ändern lasse. Gerade erst habe die Corona-Pandemie gezeigt, dass es sich vielmehr sehr schnell ändern könne - und mit vielen Vorteilen. So reduziere die Arbeit im Homeoffice nicht nur Emissionen und Staus, sondern trage häufig auch dazu bei, Beruf und Familie besser miteinander in Einklang zu bringen.

„Wir wissen, was Sie jetzt sagen werden“, heißt es zum Ende der Ausführungen. „Die Aufgaben sind gewaltig. Die Hindernisse sind riesig. Die Gefahren sind enorm. Die Zeit, die uns bleibt, ist kurz.“ Die schwersten Aufgaben der schnellsten wirtschaftlichen Transformation der Geschichte müssten im ersten Jahrzehnt angepackt werden. „Jetzt. Wenn Sie dieses Buch zuschlagen.“

Das Ausmaß dieser Transformation möge entmutigend erscheinen - vielleicht aber gebe es eine gute Nachricht: Vielleicht müsse der Felsblock gar nicht einen Berg hinaufgewälzt werden. Vielleicht liege er schon nahe eines Abhangs und müsse nur noch in Bewegung gesetzt werden, schreiben sie etwa mit Blick auf immer günstigere erneuerbare Energien. So ehrgeizig der mit „Earth for All“ präsentierte Leitfaden sei, er sei auch «beharrlich optimistisch». Wie wahrscheinlich es sei, dass wir es schaffen? „Das, liebe Leserinnen und Leser, hängt davon ab, was Sie als Nächstes tun.“

In „Earth for All“ geht es um nichts weniger als die wichtigsten Maßnahmen, mit denen eine lebenswerte Zukunft der Menschheit noch zu retten wäre.

In „Earth for All“ geht es um nichts weniger als die wichtigsten Maßnahmen, mit denen eine lebenswerte Zukunft der Menschheit noch zu retten wäre. Foto: dpa

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