Bremerhaven

Beethovens Vögel, der Typ mit der Bluebox und mein Hunger auf Fischbrötchen

Open-Air-Konzert am Deich - gratis? Großes Wunschkonzert live zum Sonnenuntergang, ganz allein für mich? Klingt zu schön, um wahr zu sein. Ist aber wahr.

NZ-Redakteurin Susanne Schwan

Beethoven-Pastorale, 2. Satz, sanft schmiegt sich Oboe an Violine, Vogelzwitschern an See-Brise, sanft schwappen silberblaue Wellen auf den Sand, entgleitet ein Schiff in die Aprikosenröte des Horizontes... ich bin nicht beschwipst, nicht bekifft und rosa Brille hab ich auch nicht auf. Die Szene ist echt. Nach der Arbeit muss ich an diesen hellen Abenden immer erst mal ans Wasser, schlendern, Luft schnuppern. Der Magen knurrt - dissonante Note im Naturidyll. Aber um diese Zeit, nach sieben, gibt’s - außer Restaurants - nirgends am Deich etwas Kleines auf die Hand, keine Fritte, keine Fischfrikadelle. Dafür krieg ich Genuss in die Ohren. Auf der Bank am Semaphor steht eine kleine Box, daraus schallt’s. Davor ein Mann, um die 50, Fahrrad, Blick übers Wasser. Ich schlendere vorüber, sag: „Schön! Beethoven zum Sunset...“ Frühlings-Dur erfüllt meine Seele - „die Nachtigallen ringsum haben mitkomponiert“, hat Beethoven 1808 in Wien über seine Friedenssinfonie geschrieben - kurz danach erklärte Österreich dem eroberungswütigen Napoleon den Krieg. Der Typ guckt verdattert: „Sie erkennen das? Das erleb ich selten.“ Er kommt oft aus Bremen, „weil dieser Ort so schön ist“, funkt vom Handy Klassisches auf die mobile Box, „die Leute kennen es nicht, aber finden es schön und hören zu. Ich hab auch Bach, was wollen Sie hören? Mozart? Brahms?“ Jetzt nicht. Aber sollten wir hier mal wieder aufeinandertreffen, zu „Klassik auf Wunsch an der Waterkant“, hab ich hoffentlich Lachsbrötchen dabei.

Blaue Stunde an der Waterkant: Am Bremerhavener Deich und an dessen Seebäderkaje versinkt der April-Tag unnachahmlich schön hinter den Horizont. Die Nordsee wird zur mattschimmernden Seide und dicke majestätische Pötte wirken in der Ferne Spielzeug-klein.

Blaue Stunde an der Waterkant: Am Deich und der Seebäderkaje versinkt der April-Tag unnachahmlich schön hinter den Horizont. Die Nordsee wird zur mattschimmernden Seide und dicke majestätische Pötte wirken in der Ferne Spielzeug-klein. An solchen Abenden sammeln sich die poetisch Gestimmten entlang des Weserdeichs, mal mit, mal ohne Musik, mal mit Shisha, mal mit Proviant, meistens mit gezückten Handys. Foto: Schwan

Susanne Schwan
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