Wer auf dem Land lebt, kommt wohl nicht drumherum, hin und wieder von einem achtbeinigen Gast überrascht zu werden. Es reichte ja nicht, dass kürzlich eine dicke Kreuzspinne meine Haustür durch ein Netz unbenutzbar machte, das sie genau auf Augenhöhe gesponnen hatte. Tagelang nahm ich nur die Hintertür, um dem Tier nicht zu begegnen. Immerhin war sie draußen. Viel schlimmer war es, als sich eine Spinne wenige Tage später in mein Wohnzimmer verirrt hatte. Nichtsahnend verbrachte ich dort gerade einen gemütlichen Abend mit meinem Kater, da sah ich sie: groß, schwarz, mit riesigen Giftzähnen. Sogenannten Cheliceren, wie ich gelernt habe. Eine Winkelspinne. Ich beobachtete sie. Sie beobachtete mich. Ich schickte meiner Tante ein Foto, sie schrieb nur: „Da könnte ich nicht wohnen.“ Das half nicht. Mein Kater half auch nicht. Dann dachte ich an ein Foto, das ich vor einigen Tagen im Internet sah. Eine Spinne, sie lächelte freundlich, war nicht echt, sondern gezeichnet. Daneben der Spruch: „Ich wusste nicht, dass es mich das Leben kosten würde, gesehen zu werden.“ Plötzlich tat mir das Tier leid. Mit dem Anblick anfreunden konnte ich mich allerdings trotzdem nicht. Also verließ ich das Wohnzimmer, es war sowieso Zeit fürs Bett. Am nächsten Morgen war sie verschwunden. Vielleicht lebt sie jetzt unterm Sofa? Hinterm Schrank? Oder sie ist schon wieder weitergezogen. Ich hoffe nur, dass der Nächste, der sie entdeckt, auch irgendwie ein Herz für Spinnen hat.
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