Es sind drastische Szenen, die ein Zuschauer in der Stoteler Sporthalle von der Tribüne aus mit seinem Smartphone festgehalten hat: Mehrere Spieler von SFL Bremerhaven stürmen wutentbrannt auf Schiedsrichter Hauke Kahrs zu, wollen dem Mann an die Gurgel. Vor allem ein SFL-Spieler ist kaum zu bremsen, beschimpft den Unparteiischen immer wieder lautstark und versucht, ihn irgendwie zu packen zu kriegen. Auf der Zuschauertribüne ist das Entsetzen groß, die Menge protestiert lautstark. "Ich dachte in dem Moment, jetzt ist es so weit, jetzt wirst auch du Opfer einer Gewalttat", sagt Hauke Kahrs einige Tage später im Gespräch mit der NZ.
Am Ende war es nur dem beherzten Eingreifen der Trainer beider Mannschaften sowie des SFL-Torwarts zu verdanken, dass Schlimmeres verhindert wurde. Es war der traurige Ausgang der Vorrundenbegegnung zwischen SFL Bremerhaven und dem OSC Bremerhaven beim kürzlich ausgetragenen Allianz-Hajman-Cup in Stotel. Der OSC entschied die Partie am Ende mit 2:1 für sich, der SFL-Spieler, der sich als besonders aggressiv hervorgetan hatte, wurde für das restliche Turnier gesperrt. Weitere Konsequenzen hatte der Vorfall für ihn zunächst nicht.
Es muss etwas passieren
Genau das kritisiert Hauke Kahrs wenige Tage später beim Gespräch mit der NZ: „Gewalttäter werden entweder nur leicht bestraft oder aber gar nicht“, sagt der 38-jährige Schiffdorfer, der seit 24 Jahren als ehrenamtlicher Schiedsrichter im Einsatz ist. „Das ist meiner Meinung nach einer der Hauptgründe dafür, dass es immer häufiger zu solchen gewalttätigen Vorfällen im Amateurfußball kommt.“ Kahrs Kritik ist insbesondere an den Niedersächsischen Fußball-Verband (NFV) gerichtet. Dieser unternehme nicht genug, um Unparteiische zu schützen. „Es muss etwas passieren.“
Auslöser für den Angriff war eine Rote Karte. Hauke Kahrs hatte nach einer Verletzung zunächst ein Time-out gegeben. Anschließend wurde das Spiel fortgesetzt, doch die Zeit lief zunächst nicht weiter. Darauf aufmerksam gemacht, gab der Schiedsrichter einem Kollegen ein Zeichen, die Zeit wieder laufen zu lassen. „Dann macht der OSC Bremerhaven fünf Sekunden vor Schluss das Tor“, sagt Kahrs. Wenn die Zeit weitergelaufen wäre, wäre das Tor nie gefallen, erklärt der 38-Jährige. Das Spiel wäre schon längst zu Ende gewesen. Dagegen protestierten die SFL-Spieler lautstark, ein Spieler beschimpfte den Schiedsrichter. Dieser zückte umgehend die Rote Karte und die Situation eskalierte.

„Ich habe schon viel erlebt, aber was sich mittlerweile auf den Fußballplätzen abspielt, wird immer schlimmer“, sagt Hauke Kahrs.
Foto: Harneit
Kahrs suchte im Anschluss Schutz in einer Kabine, um sich von dem Erlebnis zu erholen. Doch das Turnier war für ihn damit noch nicht zu Ende, er musste später noch weitere Spiele leiten. „Ich musste den ganzen Vorfall ausblenden und weiter funktionieren“, sagt er noch immer hörbar mitgenommen. „Ich habe schon viel erlebt, aber was sich mittlerweile auf den Fußballplätzen abspielt, wird immer schlimmer“, sagt er. Es gebe auch viele gute Momente, betont Kahrs ausdrücklich, nicht alles sei schlecht.
Doch Fälle von Gewalt nähmen zu, auch im Profisport. Das sei kein Phänomen, das ausschließlich im Amateur-Fußball vorkommt. Die Bundesliga, oder generell der Profisport, dienten hier leider häufig als negatives Vorbild. „Fehler passieren“, sagt Hauke Kahrs. „Man kann es nie zu 100 Prozent richtig machen. Doch wenn man für jeden Fehler derart aggressiv angegangen wird, macht das Ganze irgendwann keinen Sinn mehr.“
Es mangelt schon lange an jungen Schiedsrichtern
Schon jetzt äußerten seine Kollegen immer häufiger, dass solche Vorfälle ein Grund wären, das Pfeifen aufzugeben. Ein weit verbreitetes Problem, denn es mangelt schon lange an jungen Schiedsrichtern. „Wenn die diese Videos sehen, wird von denen bald gar keiner mehr pfeifen wollen“, sagt Kahrs. Aktuell hänge alles an den Schiedsrichter-Oldies, Männer über 60 Jahren, die sich seit Jahrzehnten ehrenamtlich engagieren. „Wenn die irgendwann aufhören, dann bricht alles auseinander.“
Der Niedersächsische Fußball-Verband teilt auf Nachfrage mit, keine Kenntnis von dem Vorfall beim Allianz-Hajman-Cup zu haben. Es handle sich dabei um ein Vereinsturnier auf Kreisebene, dafür sei der Kreisvorsitzende in Cuxhaven zuständig, teilt NFV-Mitarbeiter Helge Kristeleit mit. Man werde sich dort erkundigen, um den Vorfall mit den verantwortlichen Funktionären zu erörtern. „Ich kann im Vorfeld berichten, dass der Verband für schwerwiegende Fälle natürlich die Sportgerichtsbarkeit und zudem auch eine Anlaufstelle in Barsinghausen installiert hat, die sich mit dem Thema „Gewalt- und Diskriminierung auf dem Fußballplatz“ auseinandersetzt“, sagt der Teamleiter des Schiedsrichter-Bereichs. Ob der Vorfall für den SFL-Spieler Konsequenzen haben wird, bleibt abzuwarten.