Hafenarzt? Was macht der eigentlich genau? Eigentlich ist Dr. Clemens Jürgens ein ganz normaler Allgemeinmediziner - nur ohne eigene Praxis und auf dem Schiff. Von der Kopfplatzwunde über Knochenbrüche und Infektionen - das kommt alles beim Hafenarzt an, selber behandeln muss er es nicht. „Aber für gesundheitliche Fragen, die an Bord anfallen, bin ich der erste Ansprechpartner“, sagt der 54-Jährige. Er kümmert sich um die Gesundheit der Seeleute, die in Bremerhaven anlegen, versorgt kleinere Wunden, stellt Rezepte für die Seeleute aus. Und Jürgens impft auch, wenn nötig. Das allerdings nicht nur für die Menschen an Bord eines Schiffes, sondern auch für Reisende, die ins Ausland möchten.
Küstenwechsel: Von der Ostsee an die Nordsee
Seit Januar lebt der gebürtige Walsroder in Bremerhaven. Das Wasser hat es ihm einfach angetan. Deswegen hatte es ihn zuvor auch nach Greifswald an die Ostsee gezogen. Dort arbeitete Jürgens zehn Jahre lang am Uni-Klinikum in der Abteilung Versorgungsepidemiologie und leitete die Studie „Study of Health in Pomerania“ kurz SHIP (Englisch für „Schiff“). Die Erfahrungen, die Jürgens aus der Studie gesammelt hat, kommen ihm jetzt bei seiner Arbeit in Bremerhaven zugute. Denn hier begleiten ihn täglich Schiffe.
Jürgens ist immer dann so schnell wie möglich vor Ort, wenn ein Schiff, das aus internationalen Gewässern kommt, im Hafen anlegt. Schiffe auf internationaler Fahrt müssen vor dem Anlegen eine Seegesundheitserklärung abgeben und erkrankte Crewmitglieder oder Passagiere melden. Wenn keine Erkrankungen vorliegen, erhält das Schiff die Freigabe. Wenn es den Verdacht einer infektiösen Erkrankung gibt, wird die Meldung von den Seehafengesundheitsaufsehern und dem diensthabenden Arzt überprüft. Falls nötig, werden weitere Schritte eingeleitet, denn ohne Freigabe kommt niemand von Bord. Das gilt für Seeleute und Passagiere gleichermaßen. „Krankheiten sollen sich nicht verbreiten, deswegen sind Kapitäne dazu verpflichtet, über den Gesundheitsstand aller Menschen auf internationalen Schiffen Auskunft zu geben“, sagt Jürgens. Auch wenn er einräumt, dass sich Krankheiten „selten aus dem Hafen heraus an Land verbreiten“.
Damit es möglichst zackig geht, steht der Hafenarzt schon im Vorfeld mit den Kollegen an Bord in Kontakt. Denn die Freigabe bezieht sich nicht nur auf Handelsschiffe und deren Besatzungen, sondern auch auf alle Passagierschiffe. „Alles ist getaktet“, sagt Jürgens. Probleme gab es bisher noch keine, „aber die Kreuzfahrtsaison beginnt ja gerade auch erst richtig“, sagt der 54-Jährige.
Der riesige Hafen ist sein Arbeitsplatz
Die meiste Zeit arbeitet Jürgens in seinem Büro im Fischereihafen oder er ist im Auto durch den Hafen unterwegs. Gerade am Anfang will der Hafenarzt viel Präsenz zeigen. „Ich will den Hafen kennenlernen und die Menschen sollen mich kennenlernen“, sagt der Mediziner, der schon viele Eindrücke gesammelt hat. Zum Beispiel der einladende Geruch von gebratenem Fisch, wenn Jürgens mit dem Rad von seiner Wohnung in Mitte in den Fischereihafen fährt.
Die schönste Aussicht? Das ist für Jürgens der Blick über den Hafen vom Pingelturm an der Kaiserschleuse aus. „Ich bin fasziniert von der Größe des Hafens. Ich wusste vorher nicht, dass die komplette Wasserseite Bremerhavens dazugehört. Was hier alles ist, die Container, die Masse an Autos. Das ist wirklich überwältigend“, sagt Jürgens.
So überwältigend, dass er jeden Tag einen Wow-Moment hat. „Ich erlebe oder sehe einfach jeden Tag etwas Neues.“ Irgendwann, da ist er sicher, wird auch das zur Routine werden, doch sein Job wird immer abwechslungsreich bleiben.
Internationaler Austausch ist besonders
Das liegt daran, dass Jürgens den internationalen Kontakt sehr schätzt. „Ich habe mit Menschen aus allen Teilen der Welt zu tun“, sagt der Hafenarzt. „Ich versuche, in möglichst vielen Sprachen wenigstens Hallo, Danke und Bitte sagen können“, sagt Jürgens. Das bricht oft das Eis, denn seine Patienten sind häufig verunsichert, haben Sorgen oder Schmerzen, wenn sie ihn aufsuchen. „Es ist wichtig, dass sich die Leute wohlfühlen“, sagt der Hafenarzt.
Der internationale Austausch ist dem 54-Jährigen nicht nur beruflich wichtig. „Ich reise halt sehr gerne“, sagt Jürgens. Im Studium jobbte der Hafenarzt bei der Lufthansa und hatte so die Möglichkeit, günstig Flüge zu buchen. Das hat Jürgens ausgenutzt. Seine Reiselust teilt Jürgens auch mit seiner Frau Imme und den Kindern Julius und Annika. Das hat abgefärbt. „Julius studiert Archäologie und kommt dabei viel rum“, sagt der Hafenarzt. Seine Tochter Annika ist gelernte Reisekauffrau und tourt ebenfalls durch die Welt.
Und was wird das nächste persönliche Reise-Highlight? „Unsere Tochter hat uns gerade Nizza gebucht. Dort werde ich die Rugby-WM anschauen“, sagt der 54-Jährige, der sehr sportbegeistert ist. Im September findet die WM dort statt.
Sportlich vielseitig aufgestellt
Der Hafenarzt schaut aber nicht nur beim Sport zu, er ist selber aktiv - als Ausdauersportler. „Ich laufe nicht schnell, aber ich laufe gerne weite Strecken“, verrät Jürgens. Laufen, Rad fahren, er ist vielseitig unterwegs. Jürgens startet bei Marathons, Duathlons, ist als Triathlet am Start oder steigt zusätzlich noch ins Kajak, um am Quadrathlon teilzunehmen. Kurzum: Jürgens ist topfit.
Der Mediziner ist allerdings nicht nur in seinem Beruf manchmal Lebensretter, er engagiert sich auch privat, um Menschen in Not zu helfen. Seit 2015 ist der 54-Jährige beim Katastrophenschutz des Roten Kreuzes in Mecklenburg-Vorpommern tätig. „Ich bin Rettungsbootführer, Rettungsschwimmer und Seenotretter“, sagt der Neu-Bremerhavener.
Aber Jürgens hat auch entspannende Hobbys: Er liebt Musik, spielt seit seinem elften Lebensjahr Gitarre. Egal, ob Akustik- oder E-Gitarre, Westerngitarre oder Ukulele - Jürgens spielt es, Unterricht hat er nie gehabt. „Das habe ich mir selbst beigebracht. Früher wollte ich ein Rockstar werden“, gibt der 54-Jährige zu. Zum Rockstar hat es nicht ganz gereicht, Jürgens ist aber in der Musikszene gut vernetzt, hat schon auf Festivals und privaten Feiern gespielt - am liebsten Classic-Rock. Was ihm noch in der musikalischen Sammlung fehlt? Ganz klar ein Banjo. „Das wünsche ich mir ehrlich gesagt noch“, sagt er und lacht.
Hier in Bremerhaven, da wollen Jürgens und seine Frau Imme ein letztes Mal einen Neuanfang starten. „Wir möchten uns hier in der Region ansiedeln und ein letztes Mal sesshaft werden“, sagt der 54-Jährige. Als Hafenarzt - und mit einem Banjo.

Dr. Clemens Jürgens ist seit Januar der neue Hafenarzt in Bremerhaven. Einen Großteil seiner Arbeit erledigt er in seinem Büro.
Foto: Konradi

Die Zeit, als der Hafenarzt noch ein eigenes Schiff, die „Quarantäne“ hatte, ist lange vorbei. Die Barkasse gehört heute zur Museumsflotte und wird für touristische Ausflugsfahrten eingesetzt.
Foto: Hartmann