Die Oberfahrer geben den liegengebliebenen Fahrzeugen im Bremerhavener Hafen Starthilfe, bringen sie wieder in Gang. „Wir sind sozusagen der ADAC auf dem Terminal“, sagt Vadim Trofimov und schmunzelt. Er und seine Kollegen werden immer dann gerufen, wenn etwas nicht ordnungsgemäß läuft - oder rollt. Dabei sitzt ihnen die Zeit immer im Nacken. Die Schiffe müssen schließlich pünktlich ablegen.
Über Funk werden die Oberfahrer - fünf bis sechs sind pro Schicht im Einsatz - alarmiert: „Da bekommen wir meistens schon die ersten Infos“, sagt Trofimov. Manchmal haben die Fahrer konkrete Ahnungen, warum das Fahrzeug streikt: „Manchmal zucken sie aber auch nur mit den Schultern“, ergänzt Kollege Christoph Meyer und schmunzelt.
Sicherheitsbedenken bei Elektroautos
Die Schwierigkeiten sind oft identisch: „Mal springt der Motor nicht an, mal sind Tank oder Batterie leer, mal fehlt Luft im Reifen oder die Elektrik streikt“, erzählt Trofimov. Auf der Ladefläche seines Pick-up fährt er eine ganze Werkstatt durch den Hafen. Dazu gehört auch die mobile Luftkompressor-Anlage. „Damit kann ich beispielsweise die Bremsanlage eines Lkw wieder aufladen.“ Ab und an ist er aber auch einfach als Schlüsseldienst gefragt: „Dann liegt der Schlüssel im Auto oder die Batterie des Schlüssels ist leer.“
Inzwischen müssen sich die Oberfahrer auch mit der Technik der Elektrofahrzeuge auskennen: „Wir haben jetzt sogar einen Drehstromgenerator auf dem Anhänger“, verrät Trofimov. Immer mehr Reedereien sperren gebrauchte Elektrofahrzeuge allerdings von Autoschiffen aus, weil sie Sicherheitsbedenken haben und ihnen die Brandgefahr zu hoch erscheint. „Sie können bei vielen Reedereien nur im Container verschifft werden“, sagt Björn Husemann, der bei der BLG Ansprechpartner für RoRo/High & Heavy ist.
Durchschnittlich 1.400 Autoschiffe pro Jahr
Durchschnittlich 1.400 Autoschiffe laufen jedes Jahr den Terminal in Bremerhaven an. Auf ein großes Autoschiff, einen sogenannten Deep-Sea-Carrier, passen bis zu 8.500 Fahrzeuge. Jedes Fahrzeug wird von ausgebildeten Fahrern auf das Schiff gebracht. Im Fachjargon spricht man vom Laden und Löschen der Schiffe. Aber auch Großgeräte, Landmaschinen oder ganze Fabriken werden auf dem Terminal umgeschlagen. „Da kann immer mal etwas passieren“, sagt Trofimov. Der 39-Jährige ist gelernter Kfz-Mechaniker mit reichlich Erfahrung, arbeitet seit 2008 im Hafen. Kollege Christoph Meyer arbeitet seit mehr als 30 Jahren bei der BLG: „Angefangen habe ich als Fahrer und dann hat man sich hochgearbeitet.“
Alles, was schwer oder groß ist, aber dennoch rollen kann oder rollbar gemacht werden kann, fällt bei der BLG Logistic in den Geschäftsbereich High & Heavy. Hier sind Spezialisten am Werk, die für das Laden und Löschen sorgen, aber auch das optimale Stauen übernehmen. „Das erfordert viel Erfahrung, um auch mit solch ungewöhnlichen Fahrzeugen umzugehen. Allein das Anlassen und das Rangieren beispielsweise von Autokränen, Mähdreschern oder Baumfällmaschinen muss man können“, sagt Björn Husemann.
,,Wie in der Notaufnahme eines Krankenhauses“
Die Oberfahrer können all diese Fahrzeuge nicht nur bewegen, sondern auch reparieren. Egal, ob Lokomotiven, Land- oder Baumaschinen oder Raupenfahrzeuge: „Wir kennen uns mit allen Fahrzeugen aus“, sagt Trofimov zur Warenpalette, die täglich neue Überraschungen enthält. Die Oberfahrer müssen auch Fahrzeuge in Gang bringen, bei denen Laien noch nicht einmal die richtigen Knöpfe zum An- und Ausschalten finden würden. „Pro Schicht behebt jeder von uns durchschnittlich zehn Pannen. Wenn man gerufen wird, weiß man nie, was kommt. Das ist wie in der Notaufnahme eines großen Krankenhauses“, sagt der Oberfahrer, der sich jeden Tag über neue Herausforderungen freut. „So wird die Arbeit nie eintönig“, ergänzt auch Kollege Meyer.
Besonders freut es Meyer, wenn es sich bei den liegengebliebenen Fahrzeugen um amerikanische Sportwagen, wie einen Chevrolet, oder einen Italiener der Marke Lamborghini handelt: „Die sieht man hier auf den Straßen ja nicht jeden Tag. Da schaut man schon mal genauer hin und freut sich, wenn man sich den Motor ansehen kann oder sich auch mal reinsetzen muss, um etwas zu überprüfen“, sagt der gelernte Kfz-Techniker. „Und wenn dann der Motor wieder anspringt und man das Wummern hört…“, schwärmt der Autoliebhaber.
Bei der Arbeit im Hafen sind kreative Lösungen gefragt
Kollege Trofimov findet Autos meist wenig spannend: „Von der Bauart sind alle gleich“, weiß der Mechatroniker: „Und die neuen Fahrzeuge haben so viel Elektronik, da kann man meist wenig machen. Die müssen in die Werkstatt.“
Wirklich spannend wird es höchstens bei Gebrauchtwagen aus Amerika: „Die sind zum Teil so ,verbastelt‘ und getuned: Die springen dann einfach nicht an.“ Herauszufinden, wo das Problem liegt, gestalte sich auf Grund der Auf- und Umbauten oft schwierig.
Der 39-Jährige freut sich besonders, wenn er für „High & Heavy“ im Einsatz ist: „Ich freue mich immer, wenn ich an Geräten arbeiten kann, die ich noch nicht kenne.“ Große Fahrzeuge mit viel Technik, bei denen es viel zu sehen und zu schrauben gibt: „Das ist mein Ding.“ Für Trofimov wurde kürzlich eine Raupe, ein Kettenfahrzeug, zur Herausforderung: „Die lief einfach nicht“, sagt er über das „historische anmutende Fahrzeug“. Alle Versuche, die Raupe wieder in Gang zu bringen, schlugen fehl. „Manchmal braucht es auch kreative Lösungen“, sagt Trofimov. Da sei es super, sich mit anderen Kollegen austauschen zu können. „Irgendwer hat immer eine Idee“, sagt Kollege Meyer. Manchmal ist die Lösung auch ganz simpel: „Ich bin kürzlich zu einem Trecker gerufen worden, den der Fahrer nicht starten konnte“, erzählt Trofimov und grinst: „Da hatte letztendlich einfach jemand den Schlüssel vertauscht. Der Schlüssel, der im Fahrzeug lag, passte aber ins Schloss.“
„Das Außergewöhnliche ist für uns gewöhnlich“, sagt Matthias Witte. Der 55-Jährige ist Manager Operations Section High & Heavy Autoterminal und von seinem Team überzeugt: „Es gibt nichts, was wir nicht können“, schwärmt er von seiner „kleinen Eingreiftruppe“.
Aber die Jungs von der BLG helfen nicht nur im „eigenen“ Hafen. „Wenn Fahrzeuge im Hafen von Zeebrugge nicht gelöscht werden können, dann kommen sie zu uns. Wir schaffen alles“, sagt Björn Husemann. Diese Einstellung teilt Trofimov: „Ich will das Fahrzeug wieder flottkriegen. In den meisten Fällen gelingt das auch“, freut sich der Oberfahrer. „Und wenn gar nichts geht, werden sie halt abgeschleppt.“ Aber das eben nur im äußersten Notfall.

Oberfahrer Vadim Trofimov zeigt auf der Ladefläche seines Fahrzeuges die Batterien, welche benötigt werden, um liegen gebliebene Fahrzeuge auf dem Autoterminal mit frischer Energie zu versorgen.
Foto: Arnd Hartmann