Olaf Tietjen nimmt kein Blatt vor den Mund. Der pädagogische Geschäftsführer des Evangelischen Kita-Verbands Wesermünde malt im Jugendhilfeausschuss des Kreises ein düsteres Bild. „Laut unserer Kultusministerin fehlen uns in Niedersachsen in den kommenden Jahren 30.000 Fachkräfte für die Kitas. Und dieser Mangel wird vor allem uns hier auf dem Land treffen, nicht die Städte.“ Aus Sicht des Kita-Experten, dessen Verband etliche Kitas im Südkreis betreibt, muss man dringend gegensteuern. Ein Weg sei, mehr Ausbildungsplätze zu schaffen. Vor diesem Hintergrund, so Tietjen, verstehe er nicht, warum an den Berufsbildenden Schulen (BBS) Schiffdorf nicht mehr Erzieherinnen ausgebildet werden. Dort solle es deutlich mehr Bewerbungen geben als Ausbildungsplätze, erzählt er kopfschüttelnd. „Da stellt sich die Frage, wie man das erhöhen kann.“
Eine Frage, die BBS-Leiter Ralf Biallas einfach beantworten kann. „Dafür brauchen wir eine weitere Lehrkraft“, stellt er klar. Und eigentlich auch mehr Räume. Seine Schule, so der BBS-Leiter, sei vom Platz her am Ende ihrer Kapazitäten. Wenn man mit Biallas und seiner Leiterin der Abteilung Sozialpädagogik, Doris Schulze, spricht, spürt man, dass sie sich den Schuh mit den fehlenden Ausbildungsplätzen nicht anziehen wollen. Tatsächlich hat die BBS ihre Erzieherausbildung in den letzten Jahren kräftig ausgeweitet.
BBS bietet sieben Klassen für angehende Erzieher
„Vor zehn Jahren, als ich hier angefangen hab, waren es vier Klassen, heute sind es sieben“, sagt Schulze. Eine davon ist sogar eine Klasse für Quereinsteiger. Meist Frauen, die schon einige Arbeitsjahre auf dem Buckel haben, aber in ihrem bisherigen Job nicht mehr glücklich sind und auf die boomende Erzieher-Branche umsteigen wollen. Damit sie sich die Ausbildung auch leisten können, wird sie in Teilzeit angeboten und kann neben der Arbeit absolviert werden.
Denn Erzieherinnen verdienen im Unterschied zu vielen anderen Berufen während ihrer Ausbildung kein Geld. Deshalb kam der BBS-Schulleiter Meinhard Buchwitz vor zwei Jahren auf die Idee, auch dieser Klientel den Einstieg in den Beruf zu ermöglichen, um dem dramatischen Mangel an Kita-Personal entgegenzuwirken.
70 Bewerbungen, aber nur eine Klasse
„Wir tun eine Menge“, betont Doris Schulze, die die Abteilung Sozialpädagogik leitet. Unter anderem sei der Unterricht von der Stundenzahl ein bisschen abgespeckt worden, so dass die neun Lehrkräfte mehr Klassen unterrichten könnten. „Aber da ist jetzt kein Spielraum mehr, sonst leidet die Qualität.“ Und so soll im Sommer nur eine neue Klasse an den Start gehen. Es werden höchstens 30 Schüler genommen - obwohl es 70 Bewerbungen gibt.
Aus Sicht der Abteilungsleiterin ist das aber aller Voraussicht nach kein Problem. Denn die meisten Schüler, die die Erzieher-Laufbahn einschlagen wollen, bewerben sich gleich an mehreren Schulen, erzählt sie. In Schiffdorf, in Cuxhaven, in Osterholz-Scharmbeck. Wenn sie Zusagen bekommen, suchen sie sich ihre Wunsch-Schule aus. „Und so bekommen wir auch immer wieder Absagen und andere rücken nach.“ Manchmal so viele, dass die Klasse gar nicht voll wird. „Im vergangenen Jahr hatten wir 55 Bewerbungen. Und am Ende reichte es gerade für eine Klasse mit 22 Schülern.“ Die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen - das ist Schulzes Erfahrung - ist also nicht so hoch, wie es erst mal aussieht.

Sie büffeln hier an der BBS in Schiffdorf, um später einmal als Erzieherinnen Kinder zu betreuen.
Foto: privat
„Wir als Gemeinden sitzen da zwischen Baum und Borke“, sagt Holger Rasch, als stellvertretender Verwaltungschef in Loxstedt für die Kindergärten zuständig. Die Kommunen sind verpflichtet, für alle Kinder ab einem Jahr einen Kita-Platz bereitzustellen, finden aber oft kein Personal, das diese Kinder betreut. Die Lage auf dem Erzieher-Markt sei absolut prekär, sagt Rasch. „Lange haben wir davon gesprochen, dass es fünf vor zwölf ist. Jetzt ist es fünf nach zwölf.“
Denn der richtige Mangel drohe ja erst. Die Nachfrage nach Kita-Personal wird in den nächsten Jahren rasant steigen, sagt Rasch. Ab 2025 sollen in Niedersachsen die Krippen-Gruppen nicht mehr von zwei, sondern von drei Erziehern betreut werden. Ab 2027 gilt das auch für die Kindergarten-Gruppen. Zudem soll von 2026 an Niedersachsens Grundschulen die Ganztagsbetreuung eingeführt werden. „Auch da werden wir Erzieherinnen brauchen. Wir wissen nicht, wie wir das stemmen sollen.“
So wundert es nicht, dass Kreis-Sozialdezernent Friedhelm Ottens sich einschaltete, als er von dem Dilemma an der BBS Schiffdorf hörte. Im Jugendhilfeausschuss kündigte Ottens an, dass er mit dem Kultusministerium sprechen will, um eine weitere Lehrer-Stelle nach Schiffdorf zu holen. „Wir müssen die Berufsschulen stärken. Das ist im Moment die wichtigste Baustelle“, betonte er.
ZUSATZINFO: Erzieher-Ausbildung
Die Ausbildung zum Erzieher findet an Fachschulen statt. Wer in Niedersachsen in einer Kita arbeiten möchte, muss zunächst eine zweijährige Ausbildung zum Sozialassistenten absolvieren. Am Ende steht eine Prüfung. Sie ist Voraussetzung für den Besuch der Fachschule Sozialpädagogik, an der man nach weiteren zwei Jahren den Abschluss als Erzieher machen kann.
ZITAT:
„Ohne eine weitere Lehrkraft geht es nicht.“
Ralf Biallas,
Leiter der BBS Schiffdorf
Standpunkt von Inga Hansen
Alles tun für mehr Personal
Es wird allerhöchste Zeit. Wofür? Für alles. Alles, was dazu beiträgt, dass mehr Personal in die Kitas kommt. Die Erzieher-Ausbildung muss entlohnt werden - wie andere Ausbildungen auch - es braucht mehr Ausbildungsplätze, braucht Absprachen zwischen den Schulen (auch mit Bremerhaven), um sicherzustellen, dass alle, die in den Job wollen, auch einen Ausbildungsplatz bekommen. Auch das Anwerben von Erzieherinnen aus Spanien, wie Bremerhaven es bereits erfolgreich praktiziert, macht Sinn. Denn die Lage ist ernst. Und sie wird noch ernster werden, wenn in den nächsten Jahren die Betreuung in Kitas und Grundschulen ausgeweitet wird. Von daher ist es keine Frage: Selbstverständlich braucht die BBS Schiffdorf einen weiteren Pädagogen, um im Sommer zwei Klassen an den Start zu schicken. Hannover muss den Weg dafür frei machen. Es wird ohnehin nur ein Tropfen auf den heißen Stein. inga.hansen@nordsee-zeitung.de

„Ohne eine zusätzliche Lehrkraft geht es nicht.“ Ralf Biallas, Leiter der BBS Schiffdorf.
Foto: Hansen