Geestland

Die Kronen-Kletterer, die im Cuxland den Wald retten

Jonas Daniel ist schwindelfrei. Muss sein. Als Baumkletterer steigt er bis zu 40 Meter an den Stämmen empor. Diesmal sind es Weißtannen im Kührstedter Wald. Der junge Mann schneidet Reiser aus den Kronen. Ein Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel.

Baumkletterer Jonas Daniel hat die Krone einer Weißtanne im Kührstedter Wald erklommen. Dort schneidet er kleine Zweige heraus, die später in der Baumschule der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt in Hann. Münden veredelt werden.

Baumkletterer Jonas Daniel hat die Krone einer Weißtanne im Kührstedter Wald erklommen. Dort schneidet er kleine Zweige heraus, die später in der Baumschule der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt in Hann. Münden veredelt werden.

Foto: Lothar Scheschonka

In Niedersachsen und weiteren Bundesländern sind derzeit etliche Baumklettererteams unterwegs. Einige von ihnen ernten Roteichen-Reiser, andere haben es auf Weißtannen abgesehen. Wie Jonas Daniel und sein Kollege Lars Herzog, die am Dienstag unter den fachkundigen Augen von Förster Matthias Moos im Kührstedter Wald ihr Werkzeug ausgepackt haben. Moos ist Mitarbeiter der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt (NW-FVA), die in Niedersachsen, Hessen, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt die besten Weißtannen sucht, um deren Genmaterial zu untersuchen und langfristig Saatgut zu gewinnen. Ziel ist die Auswahl und Vermehrung von Weißtannen.

Weißtanne besitzt besondere Standfestigkeit

„Aufgrund ihres Pfahlwurzelsystems besitzt die Weißtanne eine besondere Standfestigkeit gegenüber Stürmen und eine hohe Trockentoleranz“, sagt Matthias Moos, der gemeinsam mit seinem Kollegen, Revierförster Tobias Loewer, an diesem besonders hellen Wintervormittag weitab von offiziellen Spazierwegen unterwegs ist. Loewer setzt auch deshalb auf die Weißtanne, weil sie sich im Schatten von Altbeständen verjüngen und gedeihen kann. „Auf diese Weise können wir im Holzurburger Revier den notwendigen Umbau des Waldes vorantreiben“, sagt Loewer, „weg von reinen Fichtenbeständen hin zum Mischwald.“

Matthias Moos freut sich über die Ausbeute

Matthias Moos freut sich über die Ausbeute: Die kleinen Zweige der Weißtanne werden veredelt und später mit anderen Reisern aus ganz Nordwestdeutschland auf einer besonderen Fläche gepflanzt, so dass sie sich gegenseitig bestäuben können. Nach einigen Jahren werden sie dann - genetisch durchmischt - wieder gezielt in den Wäldern gepflanzt.

Foto: Lothar Scheschonka

Mit einer speziellen Seiltechnik haben Lars Herzog von der Firma „Herzog-Seilklettertechnik“ und Jonas Daniel bereits die erste Weißtanne erklommen. Fünf dieser Stämme im Kührstedter Holz hat Matthias Moos vorausgewählt, weil sie besonders vital und stabil sind. Aus ihren Kronen schneiden Lars Herzog und Jonas Daniel gezielt einzelne kleine Zweige heraus, jeweils rund 20 Stück, und werfen sie auf den Waldboden. Matthias Moos ist zur Stelle, beschneidet die Zweige noch einmal und sichert sie in Folienbeutel, die er dann beschriftet.

In der Baumschule werden Reise wie im Obstbau gepfropft

In der Baumschule der NW-FVA in Hann.Münden werden diese Reiser später wie im Obstbau auf angezogene Weißtannenunterlagen gepfropft. Damit entsteht eine genetische Kopie des Altbaumes. „Viele dieser Pfropflinge aus dem gesamten Nordwesten Deutschland werden später zusammen bei uns auf eine besondere Fläche gepflanzt, so dass sie sich gegenseitig bestäuben können“, sagt Moos. In diesen sogenannten Samenplantagen können dann Zapfen geerntet werden, die genetisch vielfältiges Samengut beinhalten.

Sicherheit ist alles: Lars Daniel seilt sich vorsichtig von einer Weißtanne im Kührstedter Wald ab.  Der junge Mann hat etliche Reiser aus der ersten Krone geschnitten. Die nächste Weißtanne wartet schon.

Sicherheit ist alles: Lars Daniel seilt sich vorsichtig von einer Weißtanne im Kührstedter Wald ab. Der junge Mann hat etliche Reiser aus der ersten Krone geschnitten. Die nächste Weißtanne wartet schon.

Foto: Lothar Scheschonka

„Unser Ziel ist es, den Markt mit höherwertigem Forstvermehrungsgut unter sich ändernden klimatischen Bedingungen nachhaltig zu versorgen“, sagt Moos. Im Verbund mit der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt forschen auch die Universität Göttingen, das Thünen-Institut, das Landeskompetenzzentrum Forst Eberswalde, der Staatsbetrieb Sachsenforst und die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg an dem umfangreichen Vorhaben.

„Ein weiterer Schlüssel für Forstwirtschaft im Klimawandel“

Tobias Loewer begrüßt die besondere Art der Weißtannen-Vermehrung, „weil sie den heimischen Wald insgesamt klima- und wetterfester werden lässt“. Allein im vergangenen Jahr waren rund 7000 Festmeter in seinem Revier durch Sturm und Windwurf beschädigt worden.

Tobias Loewer

Für Revierförster Tobias Loewer ist klar: Die genetische Vielfalt der Weißtanne ist ein weiterer Schlüssel für Forstwirtschaft im Klimawandel.

Foto: Lothar Scheschonka

Natürlich säe sich die Weißtanne auch auf normalem Weg übers Jahr aus, sagt Loewer, doch dann immer nur auf begrenztem Raum. „Wenn die kleinen Weißtannen in den Baumschulen groß genug sind, werden wir sie kaufen und großflächig bei uns wieder einsetzen“, sagt der Revierförster. Über die Kosten dieses Ankaufs lasse sich zum jetzigen Zeitpunkt nichts sagen. Doch für Loewer ist klar: „Die genetische Vielfalt der Weißtanne ist ein weiterer Schlüssel für Forstwirtschaft im Klimawandel.“

Andreas Schoener

Reporter

Andreas Schoener arbeitet seit Oktober 2008 in der Landkreis-Redaktion der NORDSEE-ZEITUNG. Dort ist er stellvertretender Leiter und zuständig für die Berichterstattung aus und über die Stadt Geestland.

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