Bremerhaven

Vom kleinen Zwiegespräch mit der unsichtbaren Welt

Wie ich unfreiwillig Mithörende einer berührenden familiären Szene im eisigen Märzwind wurde

NZ-Redakteurin Susanne Schwan

Weithin schallt die kernige Stimme durch die Schietwetterluft. Mir unfreiwillig Mithörenden wird warm ums Herz, während ich mit eiskalten Märzkapriolen hadere. „Es tut mir so leid, dass ich gestern nicht da war, nicht bei dir war“, höre ich irgendwo vor mir die Stimme im Graupelgrau. Viel Zärtlichkeit schwingt darin mit. „Weißt du, ich hatte so viel noch zu verräumen im Haus, aber na ja, heut komm ich ja zu dir.“ Klingt nach einem älteren Mann - sicher mit Handy am Ohr, denke ich mir und schniefe gegen Böen an. „Ach, du, das war ein schöner Nachmittag, doch, doch, sehr nette Leute hab ich wiedergesehen, lecker gegessen, doch, war wirklich schön...“ Ich biege um einen Forsythienstrauch, der vorwitzig die ersten gelben Knospen öffnet, die Männerstimme rückt näher. „Ja, dann werd ich mal los, ich muss ja heute weiter aufräumen und auch noch was kochen, tschüss, du, tschüss...“ Jetzt seh ich ihn. Er hat kein Handy am Ohr. Der ältere, robuste Herr, wohl zwischen 70 und 80, steht mit gesenktem Kopf, Helm in der Hand, umringt von Krokussen vor einem Grab, dreht sich mit einem Nicken um, schiebt sein Rad zum Hauptweg, steigt mühsam auf. Das „Zwiegespräch“ berührt mich tief. Wer weiß, grübele ich, wie viele Monate, Jahre er es mit seiner „anderen Hälfte“ schon hält, jeden Tag. Welche unschließbare Lücke ihr Gehen in sein Dasein gerissen hat. Wie wacker er das Allein-Weitermachen übt. Und wie viel Kraft ihm die kleinen Besuche und das laut zu ihr Sprechen geben. Das kenn ich. Ich spreche mit den Meinigen auch schon mal laut, in der Küche, beim Spazieren, im Stadttrubel. Merkwürdig finden Sie das? Ich find’s nicht seltsamer als das Gesabbel mancher Mitmenschen mit Stöpseln im Ohr, fuchtelnd und schnackend mit - Luft.

Susanne Schwan

Reporterin

Die gebürtige Düsseldorferin studierte an der Musikhochschule und war 12 Jahre Theaterschauspielerin. Nach Rundfunk-Ausbildung und Volontariat bei der NORDSEE-ZEITUNG ab 1999 leidenschaftliche Menschen- und Geschichtensammlerin. Nebenbei noch Auftritte mit Literaturprogrammen.

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